Der Meister und Margarita
erbittert, weil er sich die Nacht hatte um die Ohren schlagen müssen, fuhr auf Teufel komm raus, so daß der Wagen in den Kurven schlingerte. Jetzt hörte der Wald auf und blieb zurück, der Fluß verschwand seitlich, und alles mögliche streute dem Lastwagen entgegen: Zäune mit Wächterhäuschen und Holzstapel, hohe Pfahle und Masten mit Drahtspulen, Schotterhaufen, von Kanälen gestreifte Erde — kurzum, man spürte, Moskau lag ganz nahe, dort hinter der Kurve, gleich würde es auf sie zubrausen und sie verschlingen.
Rjuchin wurde auf dem Lastwagen weidlich durchgeschüttelt; der Holzklotz, auf dem er saß, wollte immer wieder unter ihm wegrutschen. Die Handtücher aus dem Restaurant hatten Pantelej und der Milizionär, die längst mit dem Obus zurückgefahren waren, auf den Wagen geworfen, wo sie verstreut umherlagen. Rjuchin begann sie einzusammeln, aber dann zischte er wütend: "Hol sie der Teufel! Was strample ich Idiot mich hier ab?", stieß sie mit dem Fuß weg und beachtete sie nicht mehr. Er war in fürchterlicher Stimmung. Ihm wurde klar, daß sein Besuch im Haus des Leides schwere Spuren bei ihm hinterlassen hatte. Er suchte dahinterzukommen, was ihn eigentlich quälte. Das Bild von dem Korridor mit den blauen Lampen? Der Gedanke, daß es auf der Welt wohl nichts Schlimmeres gibt, als den Verstand zu verlieren? Ja, das natürlich auch. Aber das war doch ein allgemeiner Gedanke. Da gab es noch etwas. Was nur? Die Beleidigung, das war's. Ja, ja, die beleidigenden Worte, die Besdomny ihm ins Gesicht geschleudert hatte. Schlimm war nicht, daß' die Worte beleidigend waren, sondern daß sie der Wahrheit entsprachen.
Der Lyriker blickte nicht mehr nach rechts und links, sondern starrte auf den schütternden schmutzigen Wagenboden, murmelte, jammerte, zermürbte sich selbst.
Ja, seine Gedichte ... Zweiunddreißig Jahre war er alt! Wirklich, wie sollte es weitergehen? Auch künftig würde er jedes Jahr ein paar Gedichte schreiben. Bis ins Alter? Ja, bis ins Alter. Was würden die Gedichte ihm einbringen? Ruhm? Quatsch! Betrüg dich doch nicht selbst! Der Ruhm kommt niemals zu einem, der schlechte Verse schreibt. Warum sind sie schlecht? Die Wahrheit hat er gesagt, die Wahrheit! redete Rjuchin erbarmungslos auf sich ein. Ich glaube nichts von dem, was ich schreibe. Von Nervenschwäche befallen, wankte der Lyriker, doch der Boden unter ihm schaukelte nicht mehr. Rjuchin hob den Kopf und sah, daß er schon längst in Moskau war, ja, daß über Moskau der Morgen graute, die Wolken von unten goldig angestrahlt waren, daß der Lastwagen in einer Fahrzeugkolonne vor der Einmündung in den Boulevard steckengeblieben war und daß ganz in seiner Nähe ein Mensch aus Metall auf einem Postament stand und mit leicht geneigtem Kopf gleichgültig auf den Boulevard blickte.
Seltsame Gedanken fluteten dem erkrankten Lyriker durch den Kopf. Der ist ein Beispiel für wirklichen Erfolg ... Rjuchin erhob sich auf dem Lastwagen zu voller Größe und streckte die Hand aus'— er attackierte den Metallmenschen, der niemand etwas zuleide tat: Was du auch im Leben für Schritte unternommen hast, was dir auch widerfahren ist — alles schlug dir zum Nutzen aus, alles diente deinem Ruhm! Aber was hast du schon geleistet? Ich.kapier das nicht... Was ist denn schon Besonderes an den Worten: "Schwarzer Wolken Sturmeseilen ..."? Das versteh ich nicht! Schwein hast du gehabt, nichts als Schwein! schloß Rjuchin giftig und spürte, daß der Lastwagen unter ihm anrollte. Geschossen hat der Weißgardist auf dich, hat dir die Hüfte zertrümmert und dir so die Unsterblichkeit gesichert... Die Kolonne setzte sich in Bewegung. Bald darauf betrat der Lyriker krank und gealtert die Veranda des Gribojedow. Sie hatte sich bereits geleert. Nur in einer Ecke saß eine Gesellschaft und trank das letzte Glas. In ihrem Mittelpunkt produzierte sich ein bekannter Conferencier, eine Tübetejka auf dem Kopf, ein Glas Abrau in der Hand.
Archibald Archibaldowitsch empfing den mit Handtüchern be-ladenen Rjuchin freundlich und befreite ihn sofort von den elenden Lappen. Wäre Rjuchin in der Klinik und auf dem Lastwagen nicht derart zermartert worden, so hätte es ihm gewiß Vergnügen bereitet, vom Irrenhaus zu erzählen und seinen Bericht mit erdachten Einzelheiten auszuschmücken. Aber danach war ihm jetzt nicht zumute, und wiewohl er sonst kein sehr scharfer Beobachter war, jetzt, nach der Folter auf dem Lastwagen, blickte er zum erstenmal den Piraten
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