Der Meister und Margarita
und sie wisse genau, wer den Mieter und den Milizionär verschleppt habe, wolle es nur zur Nacht nicht sagen. Nun, wenn Zauberei einmal anfangt, ist sie bekanntlich schwer zu bremsen. Der Mieter verschwand nach meiner Erinnerung am Montag, und am Mittwoch verschwand auch Belomut, wie in den Erdboden hinein, freilich unter ganz anderen Umständen. Am Morgen fuhr wie täglich der Wagen vor, um ihn zur Arbeit abzuholen, doch er brachte ihn nicht zurück und fuhr auch nie wieder vor.
Gram und Entsetzen der Madame Belomut lassen sich nicht beschreiben. Leider aber war beides nicht von langer Dauer. Als Anna Franzewna und Anfissa noch in derselben Nacht von der Datsche nach Hause zurückkehrten (Anna Franzewna hatte dort etwas Eiliges zu erledigen gehabt), war die Bürgerin Belomut nicht mehr in der Wohnung. Überdies waren die Türen der beiden Zimmer, die das Ehepaar Belomut bewohnte, versiegelt.
Zwei Tage vergingen irgendwie. Am dritten Tag fuhr Anna Franzewna, die schon die ganze Zeit unter Schlaflosigkeit litt, abermals eilig auf die Datsche. Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß sie nicht zurückkehrte!
Die alleingebliebene Anfissa heulte sich aus und legte sich gegen zwei Uhr nachts schlafen. Was weiterhin mit ihr geschah, ist unbekannt, aber die Mieter der Nachbarwohnungen erzählten, in der Wohnung Nr. 50 habe man es die ganze Nacht klopfen hören, und bis zum Morgen habe in den Fenstern Licht gebrannt. In der Frühe stellte sich heraus, daß auch Anfissa verschwunden war!
Über die Verschwundenen und die geheimnisvolle Wohnung liefen im Hause noch lange Legenden um, zum Beispiel in der Art, die dürre und fromme Anfissa hätte auf ihrer vertrockneten Brust ein Wildlederbeutelchen mit fünfundzwanzig großen Brillanten getragen, die Anna Franzewna gehörten. Und im Holzschuppen jener Datsche, zu der Anna Franzewna so eilig hingefahren war, seien ganz von selbst unermeßliche Schätze entdeckt worden in Gestalt eben dieser Brillanten, aber auch goldener Münzen aus der Zarenzeit. Und Weiteres von der gleichen Güte. Nun, was wir nicht genau wissen, dafür wollen wir uns nicht verbürgen.
Wie dem auch sei, die Wohnung blieb nur eine Woche leer und versiegelt, dann zogen der verblichene Berlioz mit seiner Gattin und Stjopa, ebenfalls nebst Gattin, ein. Es ist ganz natürlich, daß auch bei ihnen, kaum hatten sie das verwunschene Quartier bezogen, etwas nicht mit rechten Dingen zuging! Im Verlauf eines einzigen Monats verschwanden beide Ehefrauen. Allerdings nicht spurlos. Von Frau Berlioz hieß es, man habe sie in Charkow mit einem Ballettmeister gesehen, und Stjopas Eheliebste sei in der Armenhausstraße aufgetaucht, wo der Varietedirektor, wie man munkelte, es mit Hilfe seiner zahllosen Bekanntschaften fertiggebracht hatte, ihr ein Zimmer zu besorgen, unter der Bedingung freilich, daß sie sich nie wieder in der Sadowaja blik-ken ließ ...
Stjopa stöhnte also auf. Er wollte das Hausmädchen Grunja rufen und Pyramidon verlangen, aber ihm fiel gerade noch ein, daß das Quatsch war, weil Grunja natürlich kein Pyramidon hatte. Er versuchte, Berlioz zu Hilfe zu rufen, und stöhnte zweimal : "Mischa . .. Mischa ...", aber Sie werden verstehen, daß er keine Antwort bekam. In der Wohnung herrschte völlige Stille. Als Stjopa die Zehen bewegte, kam er dahinter, daß er in Socken dalag; mit zitternder Hand befühlte er seine Hüfte, um festzustellen, ob er in Hosen war, doch es gelang ihm nicht. Endlich, als er merkte, daß er einsam und verlassen war und niemand sich um ihn kümmerte, entschloß er sich aufzustehen, und sollte es ihn noch so übermenschliche Anstrengungen kosten. Er riß die verklebten Lider auf und erblickte im Spiegel das Bild eines Mannes mit zerrauften Haaren, gedunsenem Gesicht voll schwarzer Stoppeln, verquollenen Augen, mit schmutzigem Hemd, Schlips und Kragen, Socken und Unterhosen. Solchermaßen sah er sich im Spiegel, und neben dem Spiegel gewahrte er einen fremden Mann mit schwarzem Anzug und schwarzer Baskenmütze.
Stjopa setzte sich im Bett hoch, riß die blutunterlaufenen Augen auf, so weit er konnte, und starrte den Unbekannten an. Dieser brach das Schweigen, indem er mit schwerer tiefer Stimme und fremdländischem Akzent folgende Worte sprach: "Guten Tag, mein allerbester Stepan Bogdanowitsch!" Eine Pause trat ein, dann stieß Stjopa mit furchtbarer Anstrengung hervor:
"Was wünschen Sie?" Er war verblüfft, denn er erkannte seine eigene Stimme nicht wieder. Das Wort "was" hatte
Weitere Kostenlose Bücher