Der Meister und Margarita
die ganze Toilette grell erleuchtete. Dann blitzte es nochmals, und vor dem Administrator erschien eine zweite Gestalt, ein kleiner Mann mit Athletenschultern und feuerrotem Haar, das eine Auge hatte den weißen Star, und aus dem Mund ragte ein Hauer. Dieser zweite, offenbar Linkshänder, hieb dem Administrator rechts eine weitere Ohrfeige. Als Antwort darauf donnerte es abermals, und aufs Holzdach des Toilettenhäuschens prasselte ein Sturzregen nieder.
"Was macht ihr, Genos ...", flüsterte der Administrator wie von Sinnen, erwog sogleich, daß das Wort "Genossen" nicht auf Banditen paßte, die einen in der öffentlichen Toilette überfielen, und knirschte "Bürg .. .", dann schwante ihm, daß sie auch diese Bezeichnung nicht verdienten, und empfing von einem der beiden einen furchtbaren dritten Schlag, daß ihm das Blut aus der Nase auf die Russenbluse tropfte.
"Was hast du da in der Aktentasche, du Schmarotzer?" schrie der Katerähnliche gellend. "Die Telegramme? Bist du nicht telefonisch gewarnt worden, du sollst sie nirgendwo hinbringen? Ich frage dich, bist du gewarnt worden?"
"Ich bi-bi-bin gewa-wa-warnt worden", antwortete der Administrator keuchend.
"Und trotzdem bist du losgelaufen? Gib die Tasche her, du Schwein!" schrie der zweite mit derselben Näselstimme, die Warenucha am Telefon gehört hatte, und riß ihm die Aktentasche aus den schlotternden Händen.
Dann packten die beiden den Administrator bei den Armen, schleiften ihn durch den Sommergarten und rasten mit ihm die Sadowaja entlang. Das GeWitter tobte mit voller Kraft, brausend und heulend schoß das Wasser in die Gullys, allerwärts fluteten schäumende Wellen durch die Straßen, von den Dächern stürzte das Wasser neben den Regenrinnen herab, aus den Toreinfahrten liefen gischtende Ströme. Alles Lebende war von der Sadowaja verschwunden, und niemand war da, der Warenucha hätte beistehen können. Durch die trüben Flüsse hüpfend und von den Blitzen beleuchtet, schleppten die Banditen den halbtoten Administrator sekundenschnell zum Haus 302 b, sausten mit ihm in den Torweg hinein, wo sich zwei barfüßige Frauen, Schuhe und Strümpfe in den Händen, an die Wand drückten, und stürmten im sechsten Aufgang zum vierten Stock hinauf. Der dem Irrsinn nahe Wareflucha wurde in der halbdunklen Diele der ihm wohlbekannten Wohnung von Stjopa Lichodejew zu Boden geworfen.
Die beiden RäÜber verschwanden, und statt ihrer erschien im Flur eine splitternackte Frauensperson mit rotem Haar und schillernden Augen.
Warenucha ahnte, daß dies das Schlimmste von allem war, und wich stöhnend zur Wand. Die Frauensperson-trat dicht an ihn heran und legte ihm die Hände auf die Schultern. Seine Haare standen steil in die Höhe, denn selbst durch die kalte, pitschnasse Russenbluse fühlte er, daß diese Hände noch kälter, ja kalt wie Eis waren.
"Komm, laß dich küssen", sagte die Frauensperson zärtlich, und ihre glitzernden Augen waren dicht vor den seinen. Da verlor Warenucha das Bewußtsein und spürte den Kuß nicht mehr.
11 Die Spaltung Iwans
Der Wald am anderen Flußufer, noch vor einer Stunde von der Maisonne beschienen, trübte sich, verfloß und löste sich auf. In dichtem Schleier strömte vorm Fenster das Wasser nieder. Am Himmel zuckten fortwährend Glutfäden auf, der Himmel platzte, und das Zimmer des Kranken füllte sich mit trügerischem, furchteinflößendem Licht.
Iwan, der auf dem Bett saß und zum trüb brodelnden Fluß blickte, weinte leise vor sich hin. Bei jedem Donnerschlag schrie er kläglich auf und barg das Gesicht in den Händen. Die vollgeschriebenen Papierblätter lagen am Fußboden. Der Wind, zu Beginn des Gewitters hereingeweht, hatte sie heruntergefegt. Die Versuche des Lyrikers, eine Erklärung über den gefährlichen Konsultanten abzufassen, hatten zu nichts geführt. Kaum hatte er von der dicken Arztgehilfin Praskowja Fjodorowna Papier und einen Bleistiftstummel erhalten, da rieb er sich geschäftig die Hände und setzte sich ungesäumt ans Tischchen. Der Anfang geriet ihm ziemlich forsch.
"An die Miliz. Vom Mitglied der Massolit Iwan Nikolajewitsch Besdomny. Erklärung. Gestern abend ging ich mit dem verstorbenen M. A. Berlioz zu den Patriarchenteichen ..." Doch schon stockte der Lyriker, hauptsächlich wegen des Wortes "verstorbenen". Darin lag ein Widersinn: Wie denn, mit dem Verstorbenen war er gegangen? Verstorbene können doch nicht gehen! Wirklich, am Ende hielt man ihn noch für verrückt! Er änderte das
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