Der Meister und Margarita
dem Tod am Kreuz zu entgehen. Im übrigen war dies Levi, dem ehemaligen Zöllner, ziemlich gleichgültig. Es interessierte ihn wenig, wie er starb. Er wollte nur, daß Jeschua, der keinem Menschen je Böses getan, keine Qualen erlitte. Der Plan war sehr gut, aber Levi hatte kein Messer bei sich. Auch besaß er kein Geld.
Wider sich selber rasend, drängte sich Levi aus der Menge und rannte zurück in die Stadt. In seinem glühenden Kopf hüpfte nur der eine fiebrige Gedanke, daß er jetzt sofort, gleichviel wie, in der Stadt ein Messer beschaffen und die Prozession wieder einholen müsse.
Er lief bis zum Stadttor, zwängte sich durchs Gedränge der in die Stadt strudelnden Karawanen und erblickte linker Hand die offene Tür eines Brotladens. Schweratmend nach dem raschen Lauf über die glühende Straße, zwang sich Levi zur Ruhe, betrat gemessen den Laden, grüßte die Besitzerin hinterm Ladentisch und bat sie, ihm vom Wandbrett den obersten Brotlaib herunterzureichen, der ihm besser gefalle, als die anderen. Als sie sich abwandte, griff er blitzschnell vom Ladentisch das Beste, was es jetzt für ihn geben konnte, ein rasiermesserscharfes langes Brotmesser, und stürzte aus dem Laden. Ein paar Minuten später war er schon wieder auf der Jaffastraße. Aber die Prozession war nicht mehr zu sehen. Er lief. Ab und zu mußte er sich in den Staub werfen und ein Weilchen unbeweglich verschnaufen. So lag er dann zur Verwunderung derer, die auf Mauleseln oder zu Fuß nach Jerschalaim strebten. Er lag und hörte sein Herz nicht nur in der Brust hämmern, sondern auch im Kopf und in den Ohren. Wieder zu Atem gekonjmen, sprang "er auf und lief weiter, doch langsamer und immer langsamer. Als er endlich in der Ferne die Staubwolken der langen Prozession sah, hatte diese bereits den Fuß des Schädelberges erreicht. "O Gott!" stöhnte Levi, denn er begriff, daß er zu spät kommen würde. Und er kam zu spät.
Als die vierte Stunde der Hinrichtung verflossen war, erreichten Levis Qualen den höchsten Grad, und fürchterlicher Grimm befiel ihn. Er erhob sich von dem Stein, schleuderte das, wie er jetzt glaubte, nutzlos gestohlene Messer zu Boden, zertrat die Flasche und beraubte sich damit des Wassers, riß die Keffije vom Kopf, krallte die Hände ins schüttere Haar und begann sich selber zu verfluchen.
Er verfluchte sich, schrie sinnlose Worte hinaus, brüllte und spuckte aus und schmähte Vater und Mutter, die ihn als Dummkopf in die Welt gesetzt hätten.
Als er sah, daß seine Flüche und Schmähreden keine Wirkung hatten und in der Sonnenglut alles beim alten blieb, ballte er die sehnigen Fäuste, schwang sie mit verkniffenem Gesicht zum Himmel, gegen die Sonne, die immer tiefer herabkroch, die Schatten verlängerte und sich entfernte, um ins Mittelmeer zu stürzen, und forderte von Gott ein sofortiges Wunder. Er verlangte, Gott solle Jeschua alsbald den Tod schicken.
Als er die Augen öffnete, sah er, daß auf dem Hügel die Dinge unverändert und nur die grellen Flecke auf der Brust des Zentu-rios erloschen waren. Die Sonne sandte ihre Strahlen auf den Rücken der Gerichteten, die mit den Gesichtern nach Jerschalaim blickten. Da schrie Levi: "Ich verfluche dich, Gott!"
Mit heiserer Stimme schrie er, er wisse jetzt um Gottes Ungerechtigkeit und wolle ihm nicht mehr glauben. "Taub bist du!" brüllte Levi. "Denn wärst du nicht taub, so würdest du mich hören und ihn sofort töten."
Mit verkniffenem Gesicht wartete Levi auf den Feuerstrahl, der vom Himmel auf ihn fallen und ihn niederschmettern würde. Doch der Feuerstrahl blieb aus, und Levi fuhr fort, mit geschlossenen Augen giftige Schmähreden gen Himmel zu schreien. Er schrie, wie grenzenlos enttäuscht er sei und daß auch noch andere Götter und Religionen existierten. Ja, ein anderer Gott hätte niemals zugelassen, daß ein Mensch wie Jeschua am Pfahl von der Sonne verbrannt würde.
"Geirrt habe ich mich!" schrie Levi völlig heiser. "Du bist ein Gott des Bösen! Oder sind deine Augen vom Qualm der Räucherpfannen im Tempel vernebelt und deine Ohren unfähig geworden, etwas anderes zu hören als die Posaunentöne der Priester? Du bist kein allmächtiger Gott! Ein finsterer Gott bist du! Ich verfluche dich, du Gott der Verbrecher, ihr Beschützer und ihre Seele!"
In diesem Moment blies dem ehemaligen Zöllner etwas ins Gesicht, und zu seinen Füßen raschelte es. Als es nochmals blies, schlug er die Augen auf und sah, daß sich die Welt, sei es unterm Einfluß
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