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Der Meister und Margarita

Titel: Der Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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großen Pes-sachfest, das am Abend begann.
    Die römische Infanterie der zweiten Sperrkette litt noch mehr als die Kavallerie. Doch das einzige, was der Zenturio Marcus Rattenschlächter seinen Soldaten erlaubte, war, die Helme abzunehmen und sich mit angefeuchteten weißer! Tüchern zu bedecken, aber sie mußten mit der Lanze in der Hand stehen bleiben. Er selber trug ebenfalls ein Tuch, aber kein feuchtes, sondern ein trockenes; unweit von der Henkergruppe wanderte er auf und ab, er hatte nicht einmal die Silberbeschläge in Form von Löwenhäuptern von seinem Gewand gelöst, hatte nicht einmal Beinschienen, Schwert und Dolch abgelegt. Die Sonne schlug auf ihn ein, doch sie tat ihm keinen Schaden, und auf die Löwenhäupter warf man besser keinen Blick, denn der blendende Glanz des in der Sonne kochenden Silbers stach in die Augen.
    Das verunstaltete Gesicht des Rattenschlächters zeigte weder Müdigkeit noch Mißmut, und es schien, als hätte der riesige Zenturio die Kraft, noch den ganzen Tag, die ganze Nacht und noch einen Tag auf und ab zu gehen, kurzum, solange es nötig war, auf und ab zu gehen, die Hände auf dem schweren kupferbeschlagenen Gürtel, die finsteren Blicke bald auf die Pfahle mit den Gerichteten heftend, bald auf die Soldaten der Sperrkette, und genauso gleichgültig mit der Spitze des zottigen Stiefels die von der Zeit gebleichten Menschenknochen oder kleine Kieselsteine wegzustoßen, die ihm in die Quere kamen. Der Mann mit der Kapuze hatte sich unweit der Pfähle auf einem dreibeinigen Schemel niedergelassen und saß unbekümmert und reglos da, wobei er ab und zu vor Langeweile mit einem Stöckchen im Sand kratzte.
    Wenn gesagt wurde, hinter der Kette der Legionäre sei kein Mensch mehr gewesen, so ist das nicht ganz richtig. Ein Mensch war da, doch konnten nicht alle ihn sehen. Er befand sich nicht dä, wo der Zugang zum Berg offengelassen und von wo die Hinrichtung am besten zu überblicken war, sondern im Norden des Hügels, wo dieser nicht sanft geneigt und zugänglich, sondern uneben war, mit Felsspalten und Einschnitten, wo ein kränkliches Feigenbäumchen, in einen Felsenriß der gottverfluchten wasserlosen Erde gekrallt, mühsam zu leben versuchte. Unter diesem Bäumchen, das keinerlei Schatten gab, hatte sich der einsame Mann, kein Teilnehmer, sondern ein Zuschauer der Hinrichtung, niedergelassen, und hier saß er auf einem Stein von Anbeginn, das heißt schon seit vier Stunden. Ja, um die Hinrichtung zu beobachten, hatte er sich nicht den besten, sondern den schlechtesten Platz ausgesucht. Dennoch konnte er von hier aus die Pfähle sehen, und er konnte hinter der Sperrkette die beiden funkelnden Flecke auf der Brust des Zenturios sehen, und das war für einen Menschen, der offenkundig unbemerkt und unbehelligt bleiben wollte, vollkommen genug. Vor vier Stunden freilich, zu Beginn der Hinrichtung, hatte sich dieser Mann ganz anders verhalten, sehr auffällig sogar, und wohl deshalb hatte er sein Verhalten geändert und sich abgesondert.
    Vor vier Stunden war er, kaum hatte die Prozession die Kette passiert und den Gipfel erreicht, zum erstenmal erschienen und hatte den Eindruck eines Zuspätgekommenen erweckt. Schweratmend war er den Hügel hinauf gelaufen, nicht gegangen, hatte sich durchgedrängt und, als er sah, daß sich vor ihm wie vor allen anderen die Kette schloß, den naiven Versuch gemacht, zwischen den Soldaten hindurch die Richtstätte zu erreichen, wo man eben die Verurteilten vom Wagen hob; dabei tat er, als verstünde er die gereizten Anrufe nicht. Dafür bekam er mit dem stumpfen Lanzenende einen heftigen Stoß vor die Brust, sprang zurück und schrie auf, aber nicht vor Schmerz, sondern vor Verzweiflung. Dem Legionär, der ihn gestoßen, warf er einen trüben und gänzlich gleichgültigen Blick zu, wie ein Mensch, der gegen körperliche Schmerzen unempfindlich ist.
    Hustend und keuchend, die Hand vor der Brust, lief er um den Hügel herum, um an der Nordseite eine Lücke in der Kette zu finden, durch die er hätte hinaufschlüpfen können. Aber es war schon zu spät, der Ring hatte sich geschlossen. Der Mann mit dem leidverzerrten Gesicht war genötigt, seine Pläne aufzugeben, er konnte nicht mehr durchbrechen zu den Fuhrwerken, von denen man bereits die Pfähle ablud. Er hätte nichts mehr erreicht, außer daß man ihn festgenommen hätte, und an diesem Tag aufgehalten zu werden paßte keineswegs in seine Pläne. So war er auf die Nordseite zu dem Felsspalt

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