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Der Meister und Margarita

Titel: Der Meister und Margarita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Poplawski lehnte sich an die Wand. Ohne Schlüssel öffnete Asasello den verschlossenen Koffer, nahm ein in durchfettetes Zeitungspapier gewickeltes großes Brathuhn heraus, dem eine Keule fehlte, und legte es auf den Fußboden. Sodann holte er zwei Garnituren Unterwäsche hervor, einen Abziehriemen, ein Buch und ein Necessaire und stieß alle diese Dinge mit dem Fuß in den Treppenschacht, mit Ausnahme des Huhnes. Der leere Koffer flog hinterdrein. Man hörte ihn unten polternd aufschlagen, wobei, nach dem Geräusch zu urteilen, der Deckel abging.
    Dann packte der rothaarige Verbrecher das Huhn am Bein und hieb es Poplawski mit solcher Wucht gegen den Hals, daß der Rumpf absprang und die Keule in Asasellos Hand verblieb. "Im Hause der Oblonskis war alles aus dem Geleise geraten", wie es der berühmte Schriftsteller Lew Tolstoi sehr richtig ausgedrückt hat. Das gleiche hätte er in diesem Falle gesagt.Jawohl! Vor Pop-lawskis Augen war alles aus dem Geleise geraten. Ein langer Funke zuckte an seinen Augen vorüber, gefolgt von einem Trauerflor, der den Maitag für einen Moment verdunkelte, dann flog Poplawski, den Ausweis in der Hand,, die Treppe hinunter. Auf dem nächsten Treppenabsatz angelangt, stieß er mit dem Fuß das Fenster entzwei und setzte sich auf eine Stufe. An ihm vorüber hüpfte das beinlose Huhn und verschwand im Treppenschacht. Der oben gebliebene Asasello nagte in einem Zubiß das Hühnerbein ab und schob den Knochen ins Seitentäschchen seines Trikots, dann kehrte er in die Wohnung zurück und schrammte die Tür zu. In diesem Moment kamen von unten die vorsichtigen Schritte eines treppauf steigenden Menschen.
    Poplawski war noch eine Treppe tiefer gestiegen und saß mit angehaltenem Atem auf einem Bänkchen.
    Ein mickriger, betagter Mann mit tieftraurigem Gesicht, angetan mit einem altmodischen Anzug aus Rohseide und einer grünbebänderten Kreissäge, kam die Treppe herauf und blieb vor Poplawski stehen.
    "Gestatten Sie eine Frage, Bürger", fragte der rohseidene Mann traurig, "wo ist die Wohnung Nr. 50?"
    "Weiter oben", antwortete Poplawski kurz.
    "Danke verbindlichst, Bürger", sagte der Mann ebenso traurig und ging weiter treppauf. Poplawski erhob sich und lief nach unten.
    Nun erhebt sich die Frage, ob Poplawski zur Miliz eilte, um die Verbrecher anzuzeigen, die ihm am hellichten Tag dermaßen Gewalt angetan hatten. Nein, er tat es mitnichten, das ist erwiesen. Zur Miliz gehen und melden, soeben habe ein bebrillter Kater den Ausweis gelesen und dann sei ein Mann im Trikot mit einem Messer gekommen ... Nein, liebe Leute, Poplawski war wirklich ein kluger Mann.
    Unten erblickte er neben dem Ausgang eine Tür, die in ein Kämmerchen führte. Die Scheibe war herausgeschlagen. Poplawski barg den Ausweis in der Tasche und hielt Ausschau nach seinen Sachen. Doch sie waren spurlos verschwunden. Poplawski wunderte sich selbst, wie wenig ihn das betrübte. Ein anderer Gedanke lockte ihn: Er wollte mit Hilfe des mickrigen Männleins die Verhexte Wohnung überprüfen. Da es gefragt hatte, wo sie sei, suchte es sie. Wahrscheinlich geriet es jener Kumpanei in die Klauen, die sich in der Wohnung Nr. 50 eingenistet hatte. Ein Vorgefühl sagte Poplawski, das Männlein werde sehr bald wieder herunterkommen. Er dachte natürlich nicht mehr daran, zum Begräbnis zu gehen, und bis zur Abfahrt des Kiewer Zuges war noch genügend Zeit. Der Planungsökonom blickte sich um und schlüpfte ins Kämmerchen. In diesem Moment ging oben die Tür. Er ist eingetreten, dachte Poplawski, und ihm stockte das Herz. Das Kämmerchen war kühl und roch nach Mäusen und Stiefeln. Er setzte sich auf einen Holzklotz, entschlossen zu warten. Er saß bequem und konnte von hier aus die Ausgangstür des sechsten Aufgangs beobachten.
    Aber der Onkel aus Kiew mußte länger warten, als er angenommen hatte. Die Treppe blieb die ganze Zeit leer. Alles war gut zu hören, und endlich klappte im vierten Stock die Tür. Poplawski erstarrte. Ja, das waren seine vorsichtigen Schritte. Er kommt herunter, dachte Poplawski. Da ging oben eine Etage tiefer die Tür. Die Schritte verhielten. Eine Frauenstimme. Dann die Stimme des traurigen Männleins, ja, es war seine Stimme ... Er sagte etwas wie "laß, um Christi willen . ..". Poplawskis Ohr ragte aus der zerschlagenen Scheibe. Dieses sein Ohr erhorchte Frauengelächter. Rasche energische Schritte kamen herab. Jetzt sah er den Rücken der Frau. Sie trug eine grüne Wachstuchtasche und ging durch die

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