Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
Vom Netzwerk:
entgegnete O’Donnell.
    »War das alles, was er von Ihnen wollte?«
    »Warren sucht verzweifelt nach Antworten. Er weiß nicht, was ihn dazu treibt, Menschen zu töten. Er weiß, dass er anders ist. Und er will wissen, warum.«
    »Das hat er Ihnen tatsächlich gesagt?«
    O’Donnell ging zu ihrem Schreibtisch und nahm einen Ordner zur Hand. »Ich habe seine Briefe hier. Und das Video unseres Gesprächs.«
    »Sie sind in Souza-Baranowski gewesen?«
    »Ja.«
    »Wessen Idee war das?«
    O’Donnell zögerte. »Wir waren beide der Ansicht, dass es hilfreich sein könnte.«
    »Aber wer hat dieses Treffen vorgeschlagen?«
    Rizzoli beantwortete die Frage an O’Donnells Stelle. »Er war es. Habe ich Recht? Hoyt hat um das Treffen gebeten.«
    »Kann sein, dass der Vorschlag von ihm kam. Aber wir wollten es beide.«
    »Sie haben nicht die geringste Ahnung, warum er Sie wirklich gebeten hat zu kommen«, sagte Rizzoli. »Nicht wahr?«
    »Wir mussten uns treffen. Ich kann einen Patienten nicht beurteilen, ohne ihn persönlich kennen gelernt zu haben.«
    »Und während Sie ihm dort persönlich gegenübersaßen, was glauben Sie, was ihm da durch den Kopf ging?«
    O’Donnells Miene war abschätzig. »Sie können es mir bestimmt sagen, wie?«
    »O ja. Ich weiß genau, was im Kopf des Chirurgen vorgeht.« Rizzoli hatte ihre Stimme wiedergefunden, und sie klang kalt und unerbittlich. »Er hat Sie gebeten zu kommen, weil er Sie beschnüffeln wollte. So macht er das mit allen Frauen. Er lächelt uns an, unterhält sich nett mit uns. So steht es doch auch in seinen Zeugnissen, nicht wahr? ›Höflicher junger Mann‹, haben die Lehrer gesagt. Ich wette, er war auch höflich zu Ihnen, als Sie ihn trafen, nicht wahr?«
    »Ja, allerdings …«
    »Ein ganz normaler, hilfsbereiter junger Mann.«
    »Detective, ich bin nicht so naiv zu glauben, er sei ein normaler Mann. Aber hilfsbereit war er. Und er war beunruhigt über seine Taten. Er will verstehen, was die Gründe für sein Verhalten sind.«
    »Also haben Sie ihm erzählt, es läge nur an diesem Schlag auf den Kopf?«
    »Ich sagte ihm, dass die Kopfverletzung ein Faktor sei.«
    »Er muss sich gefreut haben, das zu hören. Weil es ihm eine Entschuldigung für seine Taten lieferte.«
    »Ich habe ihm meine ehrliche Meinung gesagt.«
    »Wissen Sie, was ihn noch gefreut hat?«
    »Was?«
    »Mit Ihnen in einem Zimmer zu sein. Sie haben doch in einem Zimmer mit ihm gesessen, oder?«
    »Wir haben uns in einem Vernehmungszimmer getroffen. Das ganze Gespräch fand unter Videoüberwachung statt.«
    »Aber es gab keine Schranke zwischen Ihnen. Kein Schutzfenster. Keine Plexiglasscheibe.«
    »Er hat mich zu keinem Zeitpunkt bedroht.«
    »Er konnte so nahe an Sie heranrücken, wie er wollte. Ihre Haare bewundern, Ihre Haut riechen. Auf den Duft einer Frau fährt er ganz besonders ab. Das macht ihn an. Und was ihn so richtig erregt, ist der Geruch der Angst. Hunde können Angst riechen, wussten Sie das? Wenn wir in Panik geraten, setzt unser Körper Hormone frei, die Tiere wittern können. Warren Hoyt kann das auch. Er ist wie alle anderen Raubtiere. Er nimmt die Witterung der Angst, der Verwundbarkeit auf. Damit nährt er seine Fantasien. Und ich kann mir lebhaft vorstellen, welche Bilder er im Kopf hatte, als er mit Ihnen in diesem Zimmer saß. Ich habe gesehen, wozu diese Fantasien führen.«
    O’Donnell versuchte zu lachen, aber es wollte ihr nicht recht gelingen. »Wenn Sie versuchen, mir Angst zu machen …«
    »Sie haben einen langen Hals, Dr. O’Donnell. Ich denke, manche würden sogar von einem Schwanenhals sprechen. Das muss ihm aufgefallen sein. Haben Sie ihn nicht ein- oder zweimal dabei erwischt, wie er nach Ihrer Kehle schielte?«
    »Ach, hören Sie doch auf!«
    »Sind seine Augen nicht immer wieder nach unten gewandert? Vielleicht dachten Sie, dass er Ihnen auf den Busen schaut, wie es andere Männer immer tun. Aber Warren ist anders. Weibliche Brüste scheinen ihn nicht sonderlich zu interessieren. Er fühlt sich vielmehr zu Hälsen hingezogen. Der Hals einer Frau ist für ihn wie eine süße Nachspeise, der Leckerbissen, auf den er sich voller Gier stürzt – aber erst, nachdem er mit einem anderen Teil ihrer Anatomie fertig ist.«
    O’Donnell wandte sich errötend an Dean. »Ihre Partnerin geht eindeutig zu weit.«
    »Nein«, erwiderte Dean ruhig. »Ich finde, Detective Rizzoli trifft den Nagel genau auf den Kopf.«
    »Das ist doch pure Einschüchterungstaktik.«
    Rizzoli lachte.

Weitere Kostenlose Bücher