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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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wütend, also prügelte er sie zu Tode. Von Zeit zu Zeit haben wir alle solche verstörenden oder unangemessenen Gedanken, so flüchtig sie auch sein mögen. Wir sehen einen attraktiven Mann oder eine attraktive Frau, und unser erster Gedanke ist Sex. Aber mehr ist es auch nicht – ein flüchtiger Gedanke. Was aber wäre, wenn wir dem Impuls nachgäben? Wenn wir uns nicht beherrschen könnten? Dann könnte dieser sexuelle Impuls zu Vergewaltigung oder zu noch Schlimmerem führen.«
    »Und das war seine Ausrede? ›Mein Gehirn hat mich dazu gebracht‹?«
    O’Donnell funkelte sie verärgert an. »Das Stirnhirnsyndrom ist eine anerkannte Diagnose in neurologischen Kreisen.«
    »Ja, aber hat es auch vor Gericht funktioniert?«
    Eine feindselige Pause trat ein. »Unser Rechtssystem arbeitet noch immer mit einer Definition von Geisteskrankheit, die aus dem neunzehnten Jahrhundert stammt. Ist es da verwunderlich, dass die Erkenntnisse der Neurologie noch nicht bis in die Gerichtssäle vorgedrungen sind? Dieser Mann sitzt derzeit in Oklahoma in der Todeszelle.« Mit grimmiger Miene riss O’Donnell die Aufnahmen vom Leuchtkasten und steckte sie wieder in den Umschlag.
    »Und was hat das alles mit Warren Hoyt zu tun?«
    O’Donnell ging zum Schreibtisch, griff nach einem anderen Umschlag, nahm zwei andere Röntgenaufnahmen heraus und klemmte sie an den Leuchtkasten. Auch diese Bilder zeigten einen Schädel in Frontal- und Seitenansicht, doch dieser war kleiner als der erste. Der Kopf eines Kindes.
    »Dieser Junge ist gestürzt, als er über einen Zaun klettern wollte«, sagte O’Donnell. »Er landete mit dem Gesicht voran auf dem Bürgersteig. Sehen Sie sich bitte die Frontalaufnahme an. Hier können Sie einen winzigen Riss erkennen, der ungefähr auf der Höhe der linken Augenbraue beginnt und sich nach oben fortsetzt. Eine Fraktur.«
    »Ich sehe sie«, sagte Rizzoli.
    »Und nun lesen Sie bitte den Namen des Patienten.«
    Rizzoli richtete den Blick auf das kleine Quadrat am Rand des Röntgenfilms, das die Angaben über den Patienten enthielt. Was sie dort sah, ließ sie erstarren.
    »Er war zum Zeitpunkt des Unfalls zehn Jahre alt«, sagte O’Donnell. »Ein normaler, aufgeweckter Junge, der in einem wohlhabenden Vorort von Houston aufwuchs. Das geht jedenfalls aus den ärztlichen Unterlagen hervor, und es wird von seiner Schule bestätigt. Ein gesundes Kind von überdurchschnittlicher Intelligenz. Vertrug sich gut mit anderen Kindern.«
    »Bis er dann größer wurde und anfing, sie umzubringen.«
    »Ja, aber warum hat Warren mit dem Töten begonnen?«
    O’Donnell deutete auf die Röntgenaufnahmen. »Diese Verletzung könnte ein Faktor sein.«
    »Moment mal, ich bin auch mit sieben Jahren vom Klettergerüst gefallen und mit dem Kopf auf eine Eisenstange gekracht. Aber ich laufe nicht rum und schlitze andere Leute auf.«
    »Aber Sie jagen auch Menschen. Genau wie er. Sie sind sogar eine professionelle Menschenjägerin.«
    Rizzolis Gesicht glühte vor Wut und Empörung. »Was fällt Ihnen ein, mich mit ihm zu vergleichen!«
    »Das tue ich nicht, Detective. Aber denken Sie doch einmal darüber nach, was Sie in diesem Moment empfinden. Sie würden mich am liebsten ins Gesicht schlagen, nicht wahr? Was hindert Sie daran, es zu tun? Sind es Ihre moralischen Grundsätze? Gute Manieren? Oder ist es nur nüchterne Logik, die Ihnen sagt, dass eine solche Tat nicht ohne Folgen bleiben würde? Die Gewissheit, dass man Sie verhaften würde? All diese Überlegungen zusammen verhindern, dass Sie mich angreifen. Und dieser mentale Prozess findet in Ihren Stirnlappen statt. Dank der intakten Neuronen in diesem Teil Ihres Gehirns haben Sie Ihre destruktiven Impulse immer unter Kontrolle.« O’Donnell machte eine Pause und setzte dann mit einem viel sagenden Blick hinzu: »Oder jedenfalls fast immer.«
    Diese letzte Bemerkung traf voll ins Schwarze, wie ein gut gezielter Speerwurf. Es war Rizzolis Achillesferse. Vor gerade einmal einem Jahr, während der Suche nach dem Chirurgen, hatte sie zu ihrer unauslöschlichen Schande einen furchtbaren Fehler begangen. Im Eifer des Gefechts hatte sie auf einen unbewaffneten Mann geschossen und ihn getötet.
    Sie starrte O’Donnell an und sah das befriedigte Funkeln in ihren Augen.
    Dean brach das Schweigen. »Sie sagten vorhin, dass es Hoyt war, der mit Ihnen Kontakt aufgenommen hat. Was erhoffte er sich davon? Aufmerksamkeit? Mitleid?«
    »Wie wäre es mit schlichtem menschlichem Verständnis?«,

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