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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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wandte sich wieder dem Leichnam auf dem Tisch zu. Ihr Blick fiel auf den Ring von Blutergüssen um den Hals. »Haben Sie den Hals geröntgt?«
    »Ja. Es liegen bilaterale Frakturen des Schildknorpels vor. Das deutet auf manuelle Strangulation hin.« Isles wandte sich an Yoshima, dessen stummes, fast geisterhaftes Wirken einen zuweilen vergessen ließ, dass er überhaupt da war.
    »Kommen Sie, wir wollen sie für den Vaginalabstrich zurechtlegen.«
    Was nun folgte, war in Rizzolis Augen die schlimmste Erniedrigung, die den sterblichen Überresten einer Frau widerfahren konnte. Es war schlimmer als das Aufschlitzen und Ausweiden der Bauchhöhle, schlimmer als das Herausschneiden von Herz und Lunge. Yoshima packte die schlaffen Beine und spreizte die Schenkel für die Beckenuntersuchung weit auseinander.
    »Entschuldigen Sie, Detective«, sagte Yoshima zu Korsak, der zufällig in der Nähe von Gail Yeagers linkem Oberschenkel stand. »Wären Sie so freundlich, das andere Bein zu halten?«
    Korsak starrte ihn entsetzt an. »Ich?«
    »Halten Sie das Knie einfach in diesem Winkel gebeugt, damit wir die Abstriche machen können.«
    Widerwillig griff Korsak nach dem Oberschenkel der Leiche, nur um gleich darauf geschockt zurückzuzucken, als ein Fetzen der Oberhaut in seiner behandschuhten Hand zurückblieb. »Ach du Scheiße!«
    »Die Haut rutscht nun mal weg, da können Sie nichts machen. Wenn Sie einfach nur das Bein abspreizen würden, ja?«
    Korsak seufzte resigniert auf. Trotz der verpesteten Luft im Raum stieg Rizzoli ein Hauch von Menthol in die Nase. Wenigstens Korsak war nicht zu stolz gewesen, sich etwas davon unter die Nase zu reiben. Er verzog das Gesicht, als er nun den Schenkel erneut packte und ihn zur Seite drehte, um die Genitalien der Leiche freizulegen. »Na toll, das wird meinem Liebesleben bestimmt einen Schub geben«, murmelte er.
    Dr. Isles richtete die OP-Lampe auf das Perineum, den Dammbereich. Behutsam zog sie die geschwollenen Schamlippen auseinander, um den Scheideneingang freizulegen. Nicht einmal die unerschütterliche Rizzoli mochte diese groteske Verletzung der Intimsphäre mit ansehen. Sie wandte sich ab.
    Und fing Gabriel Deans Blick auf.
    Bis zu diesem Augenblick hatte er die Vorgänge ruhig und äußerlich gelassen beobachtet. Aber nun sah sie den Zorn in seinen Augen aufblitzen. Es war der gleiche Zorn, den sie auf den Mann empfand, der schuld war an Gail Yeagers Demütigung über den Tod hinaus. Sie sahen einander in die Augen, und ihre geteilte Entrüstung ließ sie ihre Rivalität für einen Moment vergessen.
    Dr. Isles führte ein Wattestäbchen in die Vagina ein, streifte es an einem Objektträger ab und legte diesen auf ein Tablett. Anschließend machte sie noch einen rektalen Abstrich, der ebenfalls auf das Vorhandensein von Sperma untersucht werden würde. Als sie damit fertig war und Gail Yeagers Beine wieder ausgestreckt auf dem Tisch lagen, hatte Rizzoli den Eindruck, dass das Schlimmste überstanden war. Selbst als Isles zu dem Y-förmigen Schnitt ansetzte und die Klinge des Skalpells von der rechten Schulter bis zum unteren Ende des Brustbeins führte, war Rizzoli überzeugt, dass nichts die entwürdigenden Prozeduren übertreffen konnte, denen diese Tote bereits unterworfen worden war.
    Isles setzte soeben zum entsprechenden Schnitt von der linken Schulter aus an, als Dean fragte: »Und was ist nun mit dem vaginalen Abstrich?«
    »Die Probe geht ins Labor«, antwortete Dr. Isles.
    »Werden Sie denn kein frisches Präparat untersuchen?«
    »Das Labor kann vorhandene Spermien ohne weiteres auf dem getrockneten Objektträger identifizieren.«
    »Das ist Ihre einzige Gelegenheit, die frische Probe zu untersuchen.«
    Das Skalpell stoppte Zentimeter über der Haut der Toten. Dr. Isles warf Dean einen fragenden Blick zu. Dann sagte sie zu Yoshima: »Träufeln Sie ein wenig Kochsalzlösung auf den Träger und schieben Sie ihn unter das Mikroskop. Ich werde gleich mal einen Blick darauf werfen.«
    Als Nächstes kam die Eröffnung des Abdomens. Dr. Isles’ Skalpell durchschnitt die aufgeblähte Bauchdecke. Der Gestank der verwesenden Organe war mit einem Mal zu viel für Rizzoli. Sie taumelte vom Tisch weg und beugte sich würgend über das Waschbecken. Jetzt bereute sie ihren törichten Versuch, um jeden Preis Stärke demonstrieren zu wollen. Sie fragte sich, ob Agent Dean sie in diesem Augenblick beobachtete und ob er ein Gefühl der Überlegenheit empfand. Auf seiner Oberlippe

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