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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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hatte sie keine Mentholsalbe glitzern sehen. Sie blieb mit dem Rücken zum Tisch stehen und verfolgte die nächsten Schritte der Autopsie mit den Ohren anstatt mit den Augen. Sie hörte den steten Luft-Strom der Klimaanlage, das Gluckern des Wassers und das metallische Klappern der Instrumente.
    Und dann hörte sie Yoshima verblüfft ausrufen: »Dr. Isles!«
    »Ja.«
    »Ich habe den Träger unters Mikroskop geschoben, und …«
    »Sind Spermien zu erkennen?«
    »Das müssen Sie sich wirklich selbst ansehen.«
    Rizzoli, deren Übelkeit sich wieder gelegt hatte, beobachtete, wie Isles ihre Handschuhe abstreifte und sich ans Mikroskop setzte. Yoshima schaute ihr über die Schulter, als sie durch das Okular blickte.
    »Sehen Sie sie?«, fragte er.
    »Ja«, murmelte sie. Dann lehnte sie sich zurück. Ihre Miene drückte Ungläubigkeit aus. Sie wandte sich an Rizzoli. »Die Leiche wurde doch gegen zwei Uhr nachmittags gefunden?«
    »Ja, zirka.«
    »Und jetzt haben wir neun Uhr abends …«
    »Haben Sie nun Sperma gefunden oder nicht?«, fiel Korsak ein.
    »Ja, es sind Spermien vorhanden«, sagte Isles. »Und sie sind motil.«
    Korsak runzelte die Stirn. »Und was heißt das? Dass sie sich bewegen? «
    »Ja. Sie sind beweglich.«
    Schweigen legte sich auf den Saal. Die Bedeutung dieser Entdeckung traf sie alle wie ein Schock.
    »Wie lange bleiben Spermien motil?«, fragte Rizzoli.
    »Das hängt von der Umgebung ab.«
    »Wie lange?«
    »Nach der Ejakulation können sie noch ein bis zwei Tage motil bleiben. Mindestens die Hälfte der Spermien auf diesem Objektträger bewegt sich noch. Es handelt sich um frisches Ejakulat. Wahrscheinlich nicht mehr als einen Tag alt.«
    »Und wie lange ist das Opfer schon tot?«, fragte Dean.
    »Nach der Kaliumkonzentration im Glaskörper zu urteilen, die ich vor ungefähr fünf Stunden gemessen habe, ist sie seit mindestens sechzig Stunden tot.«
    Wieder trat Stille ein. Rizzoli konnte an den Gesichtern ablesen, dass alle zu dem gleichen Schluss gelangten. Ihr Blick fiel auf Gail Yeager, die jetzt mit aufgeschlitztem Rumpf und freigelegten Organen auf dem Tisch lag. Rizzoli schlug die Hand vor den Mund und drehte sich blitzschnell zum Waschbecken um. Zum ersten Mal in ihrer Laufbahn als Polizistin musste Jane Rizzoli sich übergeben.
     
    »Er hat es gewusst«, sagte Korsak. »Dieses Arschloch hat es gewusst! «
    Sie standen auf dem Parkplatz hinter dem Rechtsmedizinischen Institut. Die Spitze von Korsaks Zigarette leuchtete orangerot auf. Nach der Kälte des Autopsiesaals war es fast eine Erleichterung, in die schwüle Sommernacht einzutauchen, vor dem grellen Licht der OP-Lampen in die gnädige Dunkelheit zu fliehen. Rizzoli schämte sich für ihren peinlichen Moment der Schwäche dort im Saal, und am meisten demütigte es sie, dass Dean Zeuge dieser Szene geworden war. Immerhin hatte er den Anstand besessen, den Vorfall mit keinem Wort zu kommentieren, und seine Blicke hatten weder Mitleid noch Spott ausgedrückt, sondern nur Gleichgültigkeit.
    »Dean war derjenige, der diesen Spermatest verlangt hat«, sagte Korsak. »Wie hat er ihn noch mal genannt …«
    »Die Untersuchung am frischen Präparat.«
    »Ja, genau, das mit dem frischen Präparat. Isles hätte sich das frische Zeugs gar nicht angeschaut. Sie wollte es erst eintrocknen lassen. Da kreuzt also dieser FBI-Typ auf und schreibt der Expertin vor, was sie zu tun hat. Als ob er ganz genau gewusst hätte, wonach wir suchen müssen und was wir finden würden. Wie konnte er das wissen? Und was hat das FBI überhaupt mit diesem Fall zu schaffen?«
    »Sie haben doch die Lebensumstände der Yeagers recherchiert. War da irgendetwas, was das Interesse des FBI wecken könnte?«
    »Nichts, absolut gar nichts.«
    »Waren sie nicht in irgendwelche zwielichtigen Sachen verwickelt?«
    »Sie tun ja gerade so, als hätten die Yeagers ihren Tod selbst verschuldet.«
    »Er war Arzt. Haben wir es hier vielleicht mit Drogengeschäften zu tun? War er etwa ein Kronzeuge?«
    »Er war sauber. Und seine Frau auch.«
    »Dieser tödliche Schnitt – wie eine Hinrichtung. Vielleicht sollte das ja symbolisch sein. Die durchschnittene Kehle, um ihn zum Schweigen zu bringen.«
    »Mensch, Rizzoli, Sie haben sich ja um hundertachtzig Grad gedreht! Zuerst sind wir von einem Sextäter ausgegangen, dem es nur um seine perverse Befriedigung geht – und jetzt kommen Sie plötzlich mit Verschwörungstheorien.«
    »Ich versuche nur zu verstehen, wieso Dean auf den Fall

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