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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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FBI? Ein Agent war hier; er schien wie selbstverständlich zu erwarten, dass wir ihm uneingeschränkten Zugang gewähren.«
    Er nickte. »Das Gesuch ist über das Präsidium gelaufen.«
    Es war also doch von oberster Stelle abgesegnet – vom Polizeichef persönlich.
    Sie sah den Beamten von der Spurensicherung zu, wie sie ihre Geräte einpackten und sich auf den Weg zu ihrem Fahrzeug machten. Obwohl sie sich hier auf dem Stadtgebiet von Boston befanden, war diese dunkle Ecke des Stony-Brook-Reservats so isoliert, dass man sich wie im tiefsten Urwald vorkam. Der Wind wirbelte Blätter auf und ließ den Gestank der Verwesung aufsteigen. Durch die Bäume sah sie den Strahl von Barry Frosts Taschenlampe auf und ab tanzen; er war damit beschäftigt, das Absperrband einzuholen und sämtliche Spuren der polizeilichen Aktivitäten zu entfernen. Schon heute Abend würden sie mit der Überwachung des Geländes beginnen; sie würden einem unbekannten Mörder auflauern, dessen perverses Verlangen nach dem Geruch verwesenden Fleisches ihn vielleicht in diesen einsamen Park zurücklocken würde, in dieses stille Wäldchen, in dem sie jetzt standen.
    »Ich habe also keine Wahl?«, sagte sie. »Ich muss mit Agent Dean kooperieren.«
    »Das habe ich dem Chef zugesichert.«
    »Welches Interesse hat das FBI an diesem Fall?«
    »Haben Sie Dean danach gefragt?«
    »Das ist so, als würden Sie mit dem Baum da drüben reden. Es kommt einfach nichts zurück. Die Sache gefällt mir gar nicht. Wir müssen die Karten auf den Tisch legen, aber er braucht uns rein gar nichts zu sagen.«
    »Vielleicht haben Sie ihn ja nicht richtig angefasst.«
    Die Wut schoss wie ein vergifteter Pfeil in ihre Adern. Sie hörte sehr wohl die unausgesprochene Botschaft aus seiner Bemerkung heraus: Da sind wohl Ihre Vorurteile wieder mal mit Ihnen durchgegangen, Rizzoli. Immer müssen Sie sich mit den Männern anlegen.
    »Haben Sie Agent Dean mal kennen gelernt?«
    »Nein.«
    Ihr Lachen klang sarkastisch. »Sie Glücklicher.«
    »Hören Sie, ich werde sehen, was ich herausfinden kann. Versuchen Sie einfach nur, mit ihm zusammenzuarbeiten, okay?«
    »Behauptet etwa irgendjemand, dass ich das nicht getan hätte?«
    »Am Telefon hat es so geklungen. Wie ich höre, haben Sie ihn einfach davongejagt. Unter funktionierender Kooperation verstehe ich etwas anderes.«
    »Er hat meine Autorität in Frage gestellt. Eines muss ich jetzt auf der Stelle geklärt haben: Ist das hier nun mein Fall oder nicht?«
    Kurzes Schweigen. »Es ist Ihr Fall.«
    »Ich darf doch davon ausgehen, dass Agent Dean diese Information auch erhält.«
    »Dafür werde ich sorgen.« Marquette drehte sich um und blickte in den Wald hinaus. »Jetzt haben wir also zwei Leichen. Beide weiblich?«
    »Der Skelettgröße und den Haarresten nach zu urteilen, handelt es sich bei der zweiten ebenfalls um eine Frauenleiche. Es sind allerdings fast keine Weichteile erhalten. Anzeichen für Tierfraß, aber keine offensichtlichen Hinweise auf die Todesursache.«
    »Können wir sicher sein, dass hier nicht noch mehr davon liegen?«
    »Die Leichensuchhunde haben jedenfalls nichts finden können.«
    Marquette stieß einen Seufzer aus. »Gott sei Dank.«
    Ihr Piepser begann zu vibrieren. Sie warf einen Blick auf das Gerät an ihrem Gürtel und erkannte die Telefonnummer auf der Digitalanzeige: die Rechtsmedizin.
    »Es ist genau wie letzten Sommer«, murmelte Marquette, der immer noch in das Unterholz starrte. »Der Chirurg hat auch um diese Jahreszeit mit seinen Morden angefangen.«
    »Es ist die Hitze«, sagte Rizzoli, während sie nach ihrem Handy griff. »Sie lockt die Monster aus ihren Höhlen.«

6
    Ich halte meine Freiheit in der Hand.
    Sie hat die Form eines winzigen weißen Fünfecks mit der Prägung » MSD 97« auf einer Seite. Decadron, vier Milligramm. Was für eine hübsche Form für eine Tablette – nicht wie all die anderen langweiligen Scheiben oder torpedoförmigen Kapseln, in denen andere Medikamente verabreicht werden. Für ein Design wie dieses braucht es Fantasie, einen Funken Verrücktheit. Ich male mir aus, wie die Marketingleute bei Merck um den Konferenztisch herum gehockt und sich gefragt haben: » Wie können wir diese Tablette so gestalten, dass man sie auf Anhieb wiedererkennt? « Und das Ergebnis ist diese fünfeckige Pille, die wie ein kleines Juwel auf meiner Handfläche ruht. Ich habe sie lange aufgehoben, habe sie in einem kleinen Riss in meiner Matratze versteckt und auf den richtigen

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