Der Meister
gar nicht so überraschend.«
Darren Crowe meldete sich zu Wort: »Es hieß doch immer, dass nur richtig kranke Typen so was machen. Das hat mir ein Profiler vom FBI mal erzählt. Er sagte, das seien arme Irre, die in der Gegend rumlaufen und wirres Zeug faseln.«
»Ja, früher war man der Ansicht, dass Nekrophilie auf einen schwer gestörten Täter hinweist«, sagte Zucker. »Auf einen verwirrten, psychotischen Charakter. Und tatsächlich sind viele der Täter Psychotiker, die unter die Kategorie des planlos vorgehenden Mörders fallen – psychisch gestört und von minderer Intelligenz. Diese Menschen haben ihre Triebe so wenig unter Kontrolle, dass sie alle möglichen Spuren am Tatort hinterlassen – Haare, Sperma, Fingerabdrücke. Sie sind am leichtesten zu fassen, weil sie keine Ahnung von kriminaltechnischer Spurensicherung haben oder sich einfach nicht drum kümmern.«
»Und was ist mit diesem Kerl?«
»Dieser Täter ist kein Psychotiker. Bei ihm handelt es sich um einen ganz anderen Typus.« Zucker schlug die Mappe mit den Fotos aus dem Haus der Yeagers auf und breitete sie auf dem Tisch aus. Dann sah er Rizzoli an. »Detective, Sie haben sich den Tatort angesehen.«
Sie nickte. »Dieser Täter ist sehr methodisch vorgegangen. Er hatte alles dabei, was er für den Mord brauchte. Er hat sorgfältig und effizient gearbeitet. Und er hat so gut wie keine Spuren hinterlassen.«
»Es wurde doch Sperma gefunden«, wandte Crowe ein.
»Aber nicht an einer Stelle, wo man normalerweise danach suchen würde. Wir hätten es leicht übersehen können. Und beinahe hätten wir es auch tatsächlich nicht gefunden.«
»Und Ihr Gesamteindruck?«, fragte Zucker.
»Er geht systematisch vor. Er ist intelligent.« Sie machte eine Pause. Und fügte hinzu: »Genau wie der Chirurg.«
Zucker fixierte sie eingehend. Er hatte sie schon immer leicht verunsichern können, und jetzt fühlte sie sich durch seinen forschenden Blick bedrängt. Aber sie konnte nicht die Einzige im Raum sein, die sich unwillkürlich an Warren Hoyt erinnert fühlte. Sie konnte nicht die Einzige sein, die das Gefühl hatte, dass sich hier ein Albtraum aus der Vergangenheit wiederholte.
»Ich stimme Ihnen zu«, sagte Zucker. »Es handelt sich um einen methodisch vorgehenden Täter. Er folgt einem Schema, das manche Profiler mit dem Begriff ›kognitiv-objektorientiert‹ bezeichnen würden. Sein Verhalten ist nicht nur auf unmittelbare Befriedigung ausgerichtet. Seine Handlungen haben ein bestimmtes Ziel, und dieses Ziel besteht darin, die totale Kontrolle über den Körper einer Frau zu erlangen – in diesem Falle über den des Mordopfers Gail Yeager. Dieser Täter will sie besitzen, will sie sogar noch nach ihrem Tod missbrauchen. Indem er sie vor den Augen ihres Mannes vergewaltigt, markiert er seinen Besitzanspruch. Er wird zum Dominator, zum Herrn über beide Opfer.«
Er griff nach dem Autopsiefoto. »Ich finde es interessant, dass sie weder verstümmelt noch zerstückelt wurde. Abgesehen von den natürlichen Veränderungen durch die frühen Stadien der Verwesung scheint die Leiche in einem recht guten Zustand zu sein.« Er sah Rizzoli an, um sich zu vergewissern.
»Sie wies keine offenen Wunden auf«, bestätigte sie. »Die Todesursache war Erdrosseln.«
»Und das ist die intimste Art, einen Menschen zu töten.«
»Intim?«
»Denken Sie doch einmal darüber nach, was es bedeutet, jemanden mit bloßen Händen zu erwürgen. Wie persönlich das ist. Der enge Körperkontakt. Haut auf Haut. Ihre Hände am Hals des Opfers. Das Gefühl, ihr die Kehle zuzudrücken, bis Sie spüren, wie das Leben dahinschwindet.«
Rizzoli starrte ihn angewidert an. »Mein Gott.«
»Ich habe nur wiedergegeben, wie er denkt. Was er fühlt. Das ist die Welt, in der er lebt, und wir müssen lernen, wie diese Welt beschaffen ist.« Zucker deutete auf das Foto von Gail Yeager. »Er wird von dem Verlangen getrieben, ihren Körper zu besitzen, ihn zu seinem Eigentum zu machen – tot oder lebendig. Dies ist ein Mensch, der eine persönliche Beziehung zu einer Leiche entwickeln kann, und er wird sie immer wieder anfassen, streicheln und sexuell missbrauchen wollen.«
»Und warum beseitigt er sie dann?«, fragte Sleeper. »Warum behält er sie nicht noch sieben Jahre lang, so wie dieser König Herodes es mit seiner Frau gemacht hat?«
»Vielleicht aus praktischen Gründen?«, vermutete Zucker. »Vielleicht wohnt er in einem Hochhaus, wo der Geruch einer verwesenden Leiche
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