Der Meister
resignierter Stimme.
» Ach, auch das noch « , seufzt sie. Kein Mitleid in ihrer Stimme, nur Verärgerung. Es gibt Menschen, die verachten alles Schwache, und zu diesen gehört sie. Wenn man sie mit absoluter Macht ausstattete und ihr die entsprechenden wehrlosen Opfer in die Hände lieferte, würde sie sich höchstwahrscheinlich in ein Monstrum der Sorte verwandeln, die in den KZs den Juden das Leben zur Hölle gemacht haben. Die Grausamkeit lauert unter der Oberfläche, versteckt hinter ihrer weißen Tracht und dem Namensschild, das sie als » staatlich geprüfte Krankenschwester « ausweist.
Sie wendet sich an den Wachmann. » Halten Sie mal « , sagt sie.
Er zögert, bevor er die Finger auf den Wattebausch legt und ihn auf meine Haut drückt. Seine Scheu vor der Berührung hat nichts mit Angst vor einem Gewaltausbruch zu tun; ich war von Anfang an ein Mustergefangener, höflich und zuvorkommend, und keiner der Wachmänner fürchtet sich vor mir. Nein, es ist mein Blut, das ihn nervös macht. Er sieht die rote Flüssigkeit in die Watte sickern und malt sich alle möglichen mikrobiellen Gräuel aus, die seine Finger befallen könnten. Die Erleichterung ist ihm deutlich anzusehen, als die Schwester eine Packung Heftpflaster aufreißt und den Wattebausch auf meinem Arm festklebt. Sofort stürzt er sich auf das Waschbecken und schrubbt sich die Hände mit Seife und heißem Wasser. Ich könnte laut lachen über seine panische Angst vor etwas so Elementarem wie Blut. Aber ich bleibe reglos auf meinem Feldbett liegen, die Beine angezogen, die Augen geschlossen, und wimmere nur ab und zu leise wie unter großen Schmerzen.
Die Schwester geht mit meinen Blutröhrchen hinaus, und der Wachmann setzt sich mit gründlich gewaschenen Händen auf einen Stuhl und wartet.
Und wartet.
Stunden – so scheint es jedenfalls – verstreichen in diesem kalten, sterilen Zimmer. Von der Schwester ist nichts zu sehen und zu hören; es scheint, als habe sie uns völlig vergessen. Der Wachmann rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Er fragt sich, wieso sie so lange braucht.
Ich weiß es schon.
Inzwischen dürfte die Maschine mit der Analyse meines Bluts fertig sein, und vielleicht hält die Schwester in diesem Moment die Ergebnisse in der Hand. Die Zahlen erschrecken sie. Aller Ärger über einen simulierenden Gefangenen ist verflogen; sie hat den Beweis vor Augen, schwarz auf weiß auf einem Computerausdruck: Eine gefährliche Infektion wütet in meinem Körper. Meine Klagen über heftige Leibschmerzen sind mit Sicherheit keine Verstellung. Obwohl sie meinen Bauch untersucht, das Zucken meiner Muskeln gespürt und mein Aufstöhnen bei jeder Berührung vernommen hat, wollte sie meinen Symptomen nicht trauen. Sie ist schon zu lange Gefängniskrankenschwester, und die Erfahrung hat sie misstrauisch gemacht, was die körperlichen Beschwerden der Insassen betrifft. In ihren Augen sind wir allesamt Schwindler und Betrüger, und alle unsere angeblichen Symptome sind nur raffinierte Versuche, an Medikamente zu gelangen.
Aber ein Labortest ist objektiv. Das Blut kommt in die Maschine, und die Maschine spuckt Zahlen aus. Sie kann den alarmierend hohen Anteil an weißen Blutkörperchen nicht ignorieren. Und deshalb hängt sie jetzt mit Sicherheit schon am Telefon, um dem Gefängnisarzt Meldung zu machen und sich mit ihm zu beraten. » Ich habe hier einen Gefangenen mit starken Leibschmerzen. Er hat Darmgeräusche, und das Abdomen ist im rechten unteren Quadranten sehr druckempfindlich. Was mir wirklich Sorgen macht, sind seine Leukozyten … «
Die Tür geht auf, und ich höre die Sohlen der Krankenschwester auf dem Linoleum quietschen. Als sie mich anspricht, ist der spöttische Unterton aus ihrer Stimme ganz verschwunden. Jetzt ist sie höflich, ja respektvoll. Sie weiß, dass sie es mit einem schwerkranken Mann zu tun hat und dass man sie verantwortlich machen wird, falls mir etwas zustoßen sollte. Plötzlich bin ich nicht mehr irgendein verachtenswertes Subjekt, sondern eine Zeitbombe, die ihre Karriere ruinieren könnte. Und sie hat schon zu lange gezögert.
» Wir werden Sie ins Krankenhaus bringen « , sagt sie und sieht den Wachmann an. » Er muss sofort verlegt werden. «
» Shattuck? « , fragt er. Gemeint ist das Lemuel Shattuck Hospital, das Gefängniskrankenhaus in Boston.
» Nein, das ist zu weit. So lange kann er nicht warten. Ich habe seine Verlegung ins Fitchburg Hospital veranlasst. «
Ihr Ton lässt keinen
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