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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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Zweifel an der Dringlichkeit der Sache zu, und der Wachmann mustert mich mit besorgter Miene.
    » Was hat er denn eigentlich! « , fragt er.
    » Es könnte ein geplatzter Blinddarm sein. Ich habe die Papiere alle fertig, und in der Notaufnahme von Fitchburg habe ich auch schon angerufen. Er wird mit dem Notarztwagen transportiert werden müssen. «
    » Ach, so ein Mist. Dann muss ich wohl oder übel mitfahren. Wie lange wird das denn dauern! «
    » Er wird wahrscheinlich stationär aufgenommen. Ich fürchte, er muss operiert werden. «
    Der Wachmann wirft einen Blick auf seine Armbanduhr. Er denkt an das Ende seiner Schicht und fragt sich, ob sein Kollege rechtzeitig im Krankenhaus sein wird, um ihn abzulösen. Er denkt nicht an mich, sondern nur an seine eigene Zeitplanung, seine eigenen Angelegenheiten. Ich bin nur eine Komplikation.
    Die Schwester faltet einen Stapel Papiere zusammen und steckt sie in einen Umschlag, den sie dem Wachmann überreicht. » Das ist für die Notaufnahme von Fitchburg. Sorgen Sie dafür, dass der Dienst habende Arzt es bekommt. «
    » Ist das mit dem Krankenwagen unbedingt notwendig! «
    » Ja. «
    » Da haben wir aber ein Problem mit der Sicherheit. «
    Sie sieht mich an. Mein Handgelenk ist immer noch an das Feldbett gefesselt. Ich liege vollkommen reglos da, die Knie angezogen – die typische Haltung eines Patienten mit einer extrem schmerzhaften Peritonitis. » Ich würde mir um die Sicherheit keine Gedanken machen. Der da ist viel zu krank, um sich mit irgendwem anzulegen. «

7
    »Nekrophilie«, sagte Dr. Lawrence Zucker, »oder ›Liebe zu Toten‹ ist schon seit jeher eines der dunklen Geheimnisse der Menschheit. Das Wort kommt aus dem Griechischen, aber solche Praktiken sind bereits viel früher belegt, seit den Tagen der Pharaonen. Wenn bei den alten Ägyptern eine schöne oder ranghohe Frau starb, wurde sie grundsätzlich erst drei Tage nach ihrem Tod in die Hände der Einbalsamierer gegeben. Damit sollte verhindert werden, dass die Männer, die sie für die Beisetzung herrichteten, sich an ihr vergingen. Sexuelle Handlungen mit Toten sind in allen Epochen dokumentiert. Selbst König Herodes soll nach dem Ableben seiner Gattin noch sieben Jahre lang mit ihr verkehrt haben.«
    Als Rizzoli sich im Besprechungszimmer umblickte, kam ihr die Situation merkwürdig vertraut vor: eine Versammlung erschöpfter Detectives, ein mit Akten und Tatortfotos übersäter Tisch. Die Flüsterstimme des Psychologen Lawrence Zucker, die sie in die albtraumhafte Gedankenwelt eines Mörders entführte. Und die Kälte – mehr als alles andere war ihr die Kälte in diesem Raum in Erinnerung geblieben, die ihr in die Glieder gekrochen war und ihre Hände taub gemacht hatte. Und die Gesichter waren größtenteils auch dieselben wie damals: die Detectives Jerry Sleeper und Darren Crowe, dazu Rizzolis Partner Barry Frost. Die Polizisten, mit denen sie vor einem Jahr an der Ergreifung des Chirurgen gearbeitet hatte.
    Ein neuer Sommer, ein neues Monster.
    Aber diesmal fehlte ein Gesicht am Tisch. Detective Thomas Moore war nicht mehr in ihrem Team, und sie vermisste sein ruhiges, sicheres Auftreten, seine Standhaftigkeit. Während der Jagd auf den Chirurgen war es zwischen ihnen zu einem Zerwürfnis gekommen, aber inzwischen hatten sie ihre Freundschaft wieder gekittet, und seine Abwesenheit hatte eine klaffende Lücke in ihrem Team hinterlassen.
    Moores Stelle – wie auch seinen gewohnten Platz am Tisch – hatte ein Mann eingenommen, dem sie nicht traute: Gabriel Dean. Jeder, der dieses Besprechungszimmer betrat, hätte sofort bemerkt, dass Dean der Außenseiter in dieser Runde von Cops war. Er fiel aus der Reihe, durch seinen perfekt sitzenden Anzug mit Krawatte ebenso wie durch sein militärisches Gebaren, und allen Anwesenden war diese Kluft deutlich bewusst. Niemand sprach Dean an; er war der stumme Beobachter, der FBI-Mann, dessen Rolle ihnen allen nach wie vor ein Rätsel war.
    Dr. Zucker fuhr fort: »Sex mit einer Leiche ist eine Praxis, an die die meisten von uns nur mit Schaudern denken. Aber wir finden sie in der Literatur und in der Geschichte immer wieder erwähnt, und auch in vielen Strafprozessen taucht sie auf. Neun Prozent aller Opfer von Serienmördern wurden nach dem Tod missbraucht. Jeffrey Dahmer, Henry Lee Lucas und Ted Bundy haben sich alle dazu bekannt.« Er blickte auf das Autopsiefoto von Gail Yeager herab. »Das Vorhandensein von frischem Ejakulat in diesem Mordopfer ist also

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