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Der Meister

Der Meister

Titel: Der Meister Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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bald unangenehm auffallen würde. Länger als drei Tage würde man eine verwesende Leiche wohl nicht im Haus behalten wollen.«
    Crowe lachte. »Vielleicht drei Sekunden.«
    »Sie sagen also, dass er fast so etwas wie eine Liebesbeziehung zu dieser Leiche hat?«, fragte Rizzoli.
    Zucker nickte.
    »Es muss ihm schwer gefallen sein, sie einfach dort liegen zu lassen. In Stony Brook.«
    »Ja, das war sicherlich nicht leicht für ihn. Fast wie die Trennung von einem geliebten Partner.«
    Sie dachte an dieses Waldstück. An die Bäume, den angenehmen Halbschatten. So weit weg von der Hitze und dem Lärm der Stadt. »Es ist vielleicht gar kein bloßer Abladeplatz«, sagte sie. »Vielleicht ist es ja für ihn ein geweihter Ort.«
    Alle starrten sie an.
    »Wie bitte?«, sagte Crowe.
    »Detective Rizzoli hat genau den Punkt angesprochen, zu dem ich gerade kommen wollte«, sagte Zucker. »Diese Stelle dort im Park ist nicht bloß ein Abladeplatz für gebrauchte Leichen. Sie müssen sich fragen: Wieso hat er sie nicht vergraben? Wieso hat er sie offen liegen lassen und somit riskiert, dass sie entdeckt würden?«
    Rizzoli antwortete leise: »Weil er sie dort besucht.«
    Zucker nickte. »Diese Frauenleichen sind seine Geliebten. Sein Harem. Er kommt immer wieder zurück, um sie anzuschauen, sie zu berühren. Vielleicht gar zu umarmen. Das ist der Grund, warum er an anderen Stellen Leichenhaare zurücklässt. Wenn er sie anfasst, bleiben ihre Haare an seinen Kleidern hängen.« Zucker wandte sich wieder an Rizzoli: »Dieses einzelne Haar, das am Tatort gefunden wurde, stammt doch von der zweiten im Park gefundenen Leiche?«
    Sie nickte. »Detective Korsak und ich sind von der Annähme ausgegangen, dass dieses Haar vom Arbeitsplatz des Täters kommen müsste. Jetzt, da wir wissen, woher es stammt, ist es da noch sinnvoll, weiter im Umfeld von Bestattungsunternehmen zu ermitteln?«
    »Doch, durchaus«, erwiderte Zucker. »Und ich sage Ihnen auch, warum. Nekrophile fühlen sich zu Leichen hingezogen. Der Umgang mit Leichen verschafft ihnen sexuelle Befriedigung – das Einbalsamieren, das Einkleiden der Verstorbenen. Das Schminken. Es ist durchaus denkbar, dass jemand sich einen Job in der Bestattungsbranche sucht, nur um diesen Trieb ausleben zu können. Er wird als Einbalsamierer arbeiten oder vielleicht als Kosmetiker in einem Beerdigungsinstitut. Vergessen Sie nicht, dass diese zweite, unidentifizierte Leiche gar nicht unbedingt ein Mordopfer sein muss. Einer der bekanntesten Nekrophilen war ein Psychotiker namens Ed Gein, der anfangs nur Friedhöfe geplündert hat. Er hat Frauenleichen ausgegraben und sie mit nach Hause genommen. Erst später wurde er zum Mörder, um sich neue Leichen zu beschaffen.«
    »O Mann«, murmelte Frost. »Das wird ja immer besser.«
    »Es ist nur ein Aspekt des breiten Spektrums menschlicher Verhaltensweisen. Wir empfinden Nekrophile als krank und pervers. Aber sie waren schon immer ein Teil unserer Gesellschaft, dieser kleine Prozentsatz von Menschen, die von absonderlichen Obsessionen getrieben werden. Von bizarren Gelüsten. Gewiss, manche von ihnen sind Psychotiker. Aber manche sind auch in jeder anderen Hinsicht vollkommen normal.«
    Auch Warren Hoyt war vollkommen normal.
    Es war Gabriel Dean, der als Nächster sprach. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich noch mit keinem Wort an der Besprechung beteiligt, und Rizzoli war überrascht, plötzlich seinen sonoren Bariton zu hören.
    »Sie sagten, dieser Täter könnte in den Wald zurückkommen, um seinen Harem zu besuchen.«
    »Ja«, entgegnete Zucker. »Deshalb sollte die Observierung von Stony Brook auf unbestimmte Zeit aufrechterhalten werden.«
    »Und was passiert, wenn er entdeckt, dass sein Harem verschwunden ist?«
    Zucker antwortete nicht sofort. »Das wird ihm gar nicht gefallen«, sagte er schließlich.
    Bei seinen Worten lief es Rizzoli eiskalt den Rücken hinunter. Sie sind seine Geliebten. Wie würde denn ein ganz normaler Mann reagieren, dem man die Geliebte wegnimmt?
    »Er wird außer sich sein«, sagte Zucker. »Er wird rasen vor Wut, weil jemand es gewagt hat, ihm sein Eigentum wegzunehmen. Und er wird das Verlorene möglichst schnell ersetzen wollen. Er wird wieder auf die Jagd gehen.« Zucker sah Rizzoli an. »Sie müssen die Medien aus dem Fall heraushalten, so lange es geht. Die Observierung ist vielleicht Ihre beste Chance, ihn zu erwischen. Denn er wird in dieses Waldstück zurückkehren – allerdings nur, wenn er sich

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