Der Meister
sogar schon hier reingemogelt – dieses Miststück.«
»Hab’s schon gehört.«
»Also, Sie fragen sich sicher, was Sie hier draußen eigentlich sollen. Aber ich habe Ihre Arbeit letztes Jahr verfolgt. Sie wissen schon, die Morde des Chirurgen. Und da dachte ich mir, das hier würde Sie bestimmt interessieren.«
Ihr Mund war plötzlich ganz trocken. »Was haben Sie denn für mich?«
»Das Opfer ist im Wohnzimmer. Dr. Richard Yeager, sechsunddreißig. Orthopädischer Chirurg. Das hier ist sein Haus.«
Sie blickte zu dem Buntglasfenster auf. »Sie hier in Newton kriegen die ganzen Morde der gehobenen Kategorie ab.«
»Ach, von mir aus könnt ihr sie alle haben. Eigentlich dürfte so was hier in der Gegend gar nicht vorkommen. Besonders so kranke Sauereien wie das hier.«
Korsak führte sie den Flur entlang ins Wohnzimmer. Das Erste, was Rizzoli sah, war das gleißende Sonnenlicht, das durch die zwei Stockwerke hohe Fensterwand mit Scheiben vom Boden bis zur Decke einfiel. Obwohl mehrere Beamte der Spurensicherung noch bei der Arbeit waren, wirkte der riesige Raum steril und leer – nur weiße Wände und glänzendes Parkett.
Und Blut. Ganz gleich, wie viele Schauplätze von Gewaltverbrechen sie schon gesehen hatte – der erste Anblick des Blutes war für sie immer noch ein Schock. Eine arterielle Fontäne war wie ein Kometenschweif an die Wand gespritzt und in dünnen Rinnsalen herabgeflossen. Die Quelle dieses Blutes, Dr. Richard Yeager, saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt am Boden. Seine Hände waren hinter dem Rücken gefesselt. Er war nur mit Boxershorts bekleidet, und seine Beine waren gerade ausgestreckt und an den Knöcheln mit Klebeband zusammengebunden. Das Kinn war ihm auf die Brust gesunken, so dass die Wunde, die zu der tödlichen Blutung geführt hatte, verdeckt war. Doch auch ohne den Schnitt zu sehen, wusste sie, dass er sehr tief sein musste und die Klinge die Halsschlagader und die Luftröhre durchtrennt haben musste. Sie war bereits allzu vertraut mit dieser Art von Verletzung, und sie konnte die letzten Sekunden des Ermordeten aus dem Muster der Blutspritzer herauslesen: Zuerst war es aus der Arterie herausgeschossen, dann hatten die Lungen sich mit Blut gefüllt, das der tödlich Verwundete durch seine durchschnittene Luftröhre eingeatmet hatte. Er war in seinem eigenen Blut ertrunken. Ein Sprühregen von ausgeatmeten Tröpfchen war auf seiner nackten Brust getrocknet. Seinen breiten Schultern und der gut entwickelten Muskulatur nach zu urteilen war er körperlich fit gewesen – mit Sicherheit in der Lage, sich gegen einen Angreifer zur Wehr zu setzen. Und doch war er mit gesenktem Kopf gestorben, in einer unterwürfigen Haltung.
Die beiden Mitarbeiter des Leichenschauhauses hatten schon ihre Bahre hereingebracht. Sie standen neben dem Opfer und überlegten, wie sie den von der Leichenstarre erfassten Körper am besten abtransportieren könnten.
»Als die Gerichtsmedizinerin die Leiche um zehn Uhr heute Morgen untersucht hat, waren die Totenflecke bereits ausgeprägt und die Leichenstarre eingetreten«, sagte Korsak. »Nach ihrer Schätzung ist der Tod zwischen Mitternacht und drei Uhr früh eingetreten.«
»Wer hat ihn gefunden?«
»Seine Assistentin. Nachdem er heute Morgen nicht in der Klinik erschienen war und auch nicht ans Telefon ging, hat sie sich ins Auto gesetzt und ist hergekommen, um nach ihm zu sehen. Sie hat ihn um neun Uhr gefunden. Seine Frau ist spurlos verschwunden.«
Rizzoli sah Korsak fragend an. »Seine Frau?«
»Gail Yeager, einunddreißig. Sie wird vermisst.«
Der eiskalte Schauer, den Rizzoli empfunden hatte, als sie vor der Haustür der Yeagers gestanden hatte, überkam sie erneut. »Eine Entführung?«
»Ich habe lediglich gesagt, dass sie vermisst wird.«
Rizzoli starrte auf Richard Yeager herab, dessen muskulöser Körper nicht stark genug gewesen war, um sich gegen den tödlichen Angriff zur Wehr zu setzen. »Erzählen Sie mir etwas über diese Leute. Ihre Ehe.«
»Ein glückliches Paar. Das sagen alle.«
»Das sagen sie immer.«
»In diesem Fall scheint es zu stimmen. Waren erst zwei Jahre verheiratet. Und vor einem Jahr haben sie sich dieses Haus gekauft. Sie arbeitet in seiner Klinik als OP-Schwester, also hatten sie den gleichen Freundeskreis, die gleichen Arbeitszeiten.«
»Dann waren sie ja ziemlich viel zusammen.«
»Ja, ich weiß, was Sie meinen. Ich würde ja verrückt werden, wenn ich den ganzen Tag mit meiner Frau zusammenhocken
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