Der Meister
ihr nicht sagte, zu viele Geheimnisse, die sie ihm niemals würde entlocken können. Nicht hier, nicht in dieser Nacht. Endlich ließ sie ihre Waffe sinken, steckte sie jedoch nicht ein. So weit ging ihr Vertrauen in Gabriel Dean nun auch wieder nicht.
»Da Sie nun einmal als Erster am Tatort waren – was haben Sie beobachtet?«
»Als ich kam, lag der Wachmann schon am Boden. Ich habe mit dem Funkgerät in seinem Wagen die Zentrale gerufen. Das Blut war noch warm. Ich hielt es für denkbar, dass unser Mann noch in der Nähe wäre. Also habe ich mich auf die Suche gemacht.«
Sie schnaubte ungläubig. »Zwischen den Bäumen?«
»Ich habe keine anderen Fahrzeuge auf dem Friedhof gesehen. Wissen Sie, was jenseits von diesem Friedhof liegt, Detective?«
Sie überlegte kurz. »Dedham liegt im Osten. Hyde Park im Norden und Süden.«
»Genau. Wohngebiete auf allen Seiten, mit reichlich Möglichkeiten, einen Wagen abzustellen. Von dort ist es nur ein kurzer Spaziergang bis zum Friedhof.«
»Warum sollte unser Täter hierher kommen?«
»Was wissen wir über ihn? Unser Mann ist besessen von Toten. Er verzehrt sich nach ihrem Geruch, ihrer Berührung. Er behält die Leichen seiner Opfer so lange bei sich, bis der Gestank sich nicht mehr verheimlichen lässt. Erst dann trennt er sich von ihnen. Wir haben es mit jemandem zu tun, den es wahrscheinlich schon erregt, wenn er nur über einen Friedhof geht. Er ist also hier im Dunkeln herumgeschlichen, weil ihm der Sinn nach einem kleinen erotischen Abenteuer stand.«
»Das ist ja krank.«
»Sie müssen sich in sein Denken hineinversetzen, in seine Welt. Wir finden das vielleicht krank, aber für ihn ist dieser Ort ein kleines Paradies auf Erden. Ein Ort, an dem die Toten zur letzten Ruhe gebettet werden. Ideal für den Dominator. Er spaziert hier herum und stellt sich wahrscheinlich den Harem von toten Frauen vor, die unter seinen Füßen liegen. Aber dann wird er gestört, überrascht von einem Wachmann auf seinem Kontrollgang. Einem Wachmann, der wohl mit nichts Gefährlicherem rechnet als mit ein paar abenteuerlustigen Teenagern.«
»Und dieser Wachmann lässt einen Unbekannten so nahe an sich herankommen, dass der ihm die Kehle durchschneiden kann?«
Dean schwieg. Dafür hatte er keine Erklärung parat. Und Rizzoli auch nicht.
Als sie wieder den Hang in Richtung Friedhofstor hinaufgingen, war die Nacht von flackerndem Blaulicht erfüllt, und ihr Team war bereits damit beschäftigt, das Absperrband an Pflöcken aufzuspannen. Rizzoli betrachtete das hektische Treiben an diesem Ort einer neuerlichen Tragödie, und sie fühlte sich mit einem Mal so müde und ausgelaugt, dass sie nichts damit zu schaffen haben wollte. Selten hatte sie ihr eigenes Urteil in Frage stellen, an ihren eigenen Instinkten zweifeln müssen. Aber heute Nacht, da sie die konkreten Folgen ihres Versagens so deutlich vor Augen hatte, musste sie sich fragen, ob Gabriel Dean nicht Recht hatte, wenn er behauptete, sie sei nicht geeignet, diese Ermittlungen zu leiten. Wenn er sagte, sie sei durch das Trauma, das Warren Hoyt ihr zugefügt hatte, so beschädigt, dass sie ihre Aufgaben als Polizistin nicht mehr erfüllen könne. Heute Nacht hatte sie die falsche Entscheidung getroffen, als sie sich geweigert hatte, einen Wagen aus ihrem Team für den Einsatz auf dem Friedhof zur Verfügung zu stellen. Wir waren nur eine Meile vom Ort des Geschehens entfernt. Wir haben in unseren Autos gesessen und vergeblich gewartet, während dieser Mann sterben musste.
Die Serie von Niederlagen lastete so schwer auf ihren Schultern, dass ihr Rücken sich tatsächlich wie unter einem Sack voller Steine zu beugen schien. Sie ging zu ihrem Wagen zurück und klappte ihr Handy auf. Frost meldete sich.
»Die Taxizentrale bestätigt die Geschichte des Fahrers«, berichtete er. »Sie haben den Anruf um zwei Uhr sechzehn bekommen. Männlicher Anrufer; behauptete, ihm sei auf dem Enneking Parkway das Benzin ausgegangen. Die Frau hat Mr. Wilensky hingeschickt. Wir versuchen, die Nummer des Anschlusses zu ermitteln, von dem aus angerufen wurde.«
»Unser Bursche ist ja nicht blöde. Die Spur wird ins Nichts führen. Irgendein Münztelefon oder ein gestohlenes Handy. Mist .« Sie schlug mit der flachen Hand auf das Armaturenbrett.
»Also, was ist nun mit dem Taxifahrer? Er hat eine saubere Weste, das haben wir überprüft.«
»Lassen Sie ihn laufen.«
»Sind Sie sicher?«
»Das war alles inszeniert, Frost. Der Täter wusste,
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