Der Meister
irgendein Trittbrettfahrer!«
» Anschnallen! «
Er zog den Gurt über die Schulter und schnallte sich fest. Trotz des Stimmengewirrs, das aus dem Funkgerät drang, konnte sie seinen schweren Atem hören, das feuchte Rasseln verschleimter Nebenhöhlen.
»Hier Posten eins, übernehme den Zehn-vierundfünfzig«, meldete sie der Einsatzzentrale.
»Ihre Zehn-zehn?«
»Enneking Parkway, habe gerade die Abzweigung Turtle Pond passiert. Geschätzte Ankunft in knapp einer Minute.«
»Sie werden die Ersten vor Ort sein.«
»Lagebericht?«
»Keine weiteren Informationen. Vermutlich Zehn-achtundfünfzig.«
Bewaffnet und gefährlich.
Rizzolis Fuß lag wie Blei auf dem Gaspedal. Die Abzweigung zum Fairview-Friedhof kam so schnell, dass sie sie fast verpasst hätte. Mit kreischenden Reifen nahm sie die Kurve und musste all ihr Geschick einsetzen, um nicht die Kontrolle über den Wagen zu verlieren.
»Nicht so stürmisch!«, stieß Korsak hervor, als sie um ein Haar in einen Steinhaufen am Straßenrand rauschten. Das schmiedeeiserne Tor stand weit offen, und sie fuhr hindurch.
Der Friedhof war nicht beleuchtet. Im Strahl der Scheinwerfer tauchten schemenhaft sanft gewellte Rasenflächen auf, aus denen Grabsteine wie weiß schimmernde Zähne ragten.
Etwa hundert Meter hinter dem Friedhofstor stand ein Wagen einer privaten Sicherheitsfirma mit offener Fahrertür und eingeschalteter Innenbeleuchtung. Rizzoli bremste. Als sie ausstieg, ging ihre Hand bereits zur Waffe – eine automatische Bewegung, die sie schon gar nicht mehr bewusst registrierte. Zu viele andere Eindrücke stürmten auf sie ein: der Geruch frisch gemähten Grases und feuchter Erde. Das Hämmern ihres eigenen Herzens an ihrem Brustbein.
Und Angst. Als sie sich in der Dunkelheit umblickte, spürte sie den eisigen Hauch der Angst im Nacken, denn eines war ihr klar: Wenn das Taxi eine Falle gewesen war, dann konnte dies sehr wohl eine weitere sein: ein blutiges Spiel, in dem sie eine ahnungslose Marionette war.
Plötzlich erstarrte sie. In der Nähe eines Grabmals in Form eines Obelisken erblickte sie einen unförmigen Schatten. Als sie den Strahl ihrer Stablampe darauf richtete, erkannte sie den zusammengesunkenen Körper des Wachmanns.
Sie ging auf ihn zu, und schon stieg ihr der Geruch des Bluts in die Nase. Er war mit nichts anderem zu vergleichen, und er löste eine primitive Alarmreaktion in ihrem Gehirn aus. Sie kniete sich ins Gras, das noch ganz feucht und warm davon war. Korsak stand direkt neben ihr und leuchtete ebenfalls mit seiner Taschenlampe auf die Stelle. Sie konnte seinen schniefenden Atem hören, die grunzenden Geräusche, die er immer von sich gab, wenn er sich körperlich anstrengte.
Der Wachmann lag mit dem Gesicht nach unten. Sie drehte ihn auf den Rücken.
»Mein Gott!«, jaulte Korsak auf und schreckte so heftig zurück, dass der Strahl seiner Lampe unkontrolliert gen Himmel zuckte.
Auch Rizzoli konnte die Hand nicht ruhig halten, als sie den fast gänzlich durchtrennten Hals anstarrte, die klaffende rote Wunde, in der weißliche Knorpelenden schimmerten. Dem Mann war wirklich nicht mehr zu helfen – sein Kopf schien nur noch durch ein paar Hautfetzen mit dem übrigen Körper verbunden.
Flackerndes Blaulicht zerriss die Dunkelheit wie ein unwirkliches Kaleidoskop, das sich schwankend auf sie zubewegte. Sie stand auf. Ihre Hose war mit Blut getränkt, der Stoff klebte ihr an den Knien. Geblendet vom Lichtschein der herannahenden Streifenwagen, wandte sie sich blinzelnd ab und blickte über die im Dunkeln liegenden Gräberreihen hinweg. Und in dem Augenblick, als die Wagen in die Friedhofseinfahrt einbogen und die Lichtkegel ihrer Scheinwerfer einen Bogen durch die Finsternis beschrieben, brannte sich ein Bild auf ihren Netzhäuten ein: eine Gestalt, die sich zwischen den Grabsteinen bewegte. Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil, und mit dem nächsten Aufflackern des Blaulichts war die Gestalt schon wieder verschwunden, untergetaucht in dem Meer von Marmorsäulen und Granitplatten.
»Korsak«, sagte sie. »Da bewegt sich jemand – dort drüben.«
»Ich kann überhaupt nichts sehen.«
Sie starrte in die Richtung. Sah die Gestalt wieder, die jetzt den Abhang hinunterlief, auf die schützende Baumreihe zu. Und schon sprintete sie los, im Slalom um die Grabsteine herum, während ihre Füße über die schlummernden Toten hinwegtrampelten. Sie hörte Korsak direkt hinter sich, keuchend und pfeifend wie ein Blasebalg, doch er
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