Der Meisterdieb
des Lichtboten vergöttern. Jeder andere Mann, besonders ein Einzelgänger wie Mythor, würde seinen Zorn herausfordern. Und in einer Stadt, die Mythor nur vom Hörensagen und aus Luxons Erzählungen kannte, waren Gefangenschaft und Tod näher als an anderen Orten.
Und schließlich hatte sich im ersten Morgenlicht eine schmale, eiserne Pforte vor ihnen geöffnet.
Luxon flüsterte mit einer Wache unverständliche Worte. Dann ließ man sie ein. Todmüde sanken sie auf die üppigen Lagerstätten. Sie wussten nicht, in welchem Bauwerk dieser Felsenstadt sie sich befanden. Aber wenigstens in diesem Punkt vertraute Mythor ihrem Führer Luxon: Sie waren in Sicherheit.
Mythor hörte hinter sich ein leises Klirren und leichte Schritte. Durch einen weißen Vorhang kam ein junges Mädchen auf die Terrasse, die im Schatten lag. Das Mädchen trug einen gläsernen Krug, in dem bernsteinfarbener Wein schimmerte.
»Herr«, sagte sie. »Dein Gastgeber wünscht, dass es dir an nichts fehlen soll. Noch einen Schluck Wein?«
Mythor erwiderte ihr Lächeln und sagte: »Danke. Nicht nur einen Schluck, sondern einen vollen Pokal. Wer ist mein Gastgeber? Ich habe zahllose Fragen.«
Er kannte einen Teil dieses Palasts. Der Besitzer musste reich sein, fast unermesslich reich. Das Haus war aus dein Felsen geschlagen, teilweise aus Bruchstein und zu anderen Teilen aus glatten weißen Mauern erbaut. Jeder Raum war kostbar eingerichtet, und überall herrschten Ruhe und Kühle.
»Dein Gastgeber und mein Herr ist Croesus«, sagte das Mädchen, beugte sich vor und goss Mythors Pokal voll. Der Geruch des Weines und der des Öls, mit dem der Körper des Mädchens eingerieben war, vermischten sich.
»Was hat Croesus mit Luxon zu tun?« wunderte sich Mythor. »Und wo ist Sadagar?«
»Er sucht dich, und gleich wird er hier sein«, meinte das Mädchen. »Croesus ist ein Mann voller Rätsel. Er kommt von weit her, und in der Stadt gibt es tausend Gerüchte über ihn. Selbst ich habe ihn niemals von Angesicht gesehen. Aber nur selten wohnt er in seinem Palast.«
Mythor hatte den überhängenden Felsen und die unzähligen Hausboote im Hafen gesehen und versucht, sich ein Bild von Sarphand zu machen. Das Leben in dieser Stadt bewegte sich auf vielen Ebenen und Stufen. Überall gab es Treppen, Rampen und breite, brückenartige Stege. Der rote Felsen war im Lauf der Jahrtausende von der Brandung der Strudelsee ausgewaschen worden, und bevor sie sich auf den nächtlichen Weg gemacht hatten, konnten sie noch erkennen, dass ein phantastisches Gebilde aus steinernen Formen entstanden war, ein Netzwerk aus Grotten, Höhlungen und Scheinbildnissen, die ihr Aussehen beim schwindenden Licht oder unter den Strahlen der wandernden Sonne ständig veränderten. In einer gigantischen Grotte lag der Hafen, dessen Becken durch starke Mauern geschützt war.
»Wo ist dieser Croesus, offenbar ein Mann großen Reichtums, jetzt gerade?« fragte Mythor. Der Felsen der Goldstadt mochten, ebenso wie viele Gebäude, voller geheimer Tunnels und großer Schächte sein, in denen man die Waren aus dem Hafen heraufzog oder sich ungehindert und ungesehen von einem Ort Sarphands zum anderen bewegen konnte. Jeder Fremde war hier dem Wissen weniger Eingeweihter schutzlos ausgeliefert. Ihr seid in Sicherheit, hatte Luxon gesagt. Ihr könnt ruhig schlafen.
Mythor wandte sich wieder an das Mädchen, das abwartend lächelnd vor ihm stand. »Du gibst keine Antwort?«
Sie hob die runden, gebräunten Schultern und antwortete verlegen: »Unser Herr weiht uns nicht in seine Geheimnisse ein. Aber er verließ mit seinen Wachen vor kurzem das Haus. Es heißt, dass er bald zurückkommen wird.«
»Also muss ich auf ihn warten. Oder auf seinen Boten.«
»So ist es, Herr.«
Ihre Augen wanderten von seinem Gesicht und hefteten sich auf einen Torbogen. Mythor drehte sich langsam um und hob die Hand, als er Steinmann Sadagar erkannte, für den eine andere Sklavin den Vorhang zur Seite zog. Auch Sadagar wirkte ausgeschlafen, erholt und verwundert.
»Wir sind hier in Luxus und Reichtum gelandet«, bemerkte Steinmann trocken und nahm aus der Hand des Mädchens einen gefüllten Pokal entgegen. »Es muss ein Traum sein, der schnell im Sonnenlicht vergeht, Mythor.«
»Das mag sein. Aber davor werden wir vielleicht noch unseren Gastgeber Croesus kennenlernen«, entgegnete Mythor. »Was weißt du?«
Steinmann schüttelte den Kopf. »Nichts. Ich stellte viele Fragen, aber ich bekam kaum eine brauchbare
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