Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
Vom Netzwerk:
Gesundheit wärmte ihm das Herz. Wie eine Aura trug sie den Schimmer des Lebens um sich.
    »Nun, wie ist es dir ergangen?«, sagte er schließlich mit einem Lächeln.
    »Ach, es ist in Ordnung. Es war falscher Alarm.«
    »So?«
    »Freut dich das nicht?«
    Ein seltsames Gefühl. Nicht einen Augenblick hatte er vermutet, dass Sally sich geirrt haben könnte; er war ganz sicher gewesen, dass ihr Verdacht begründet war. Alle seine Pläne waren plötzlich über den Haufen geworfen. Das Dasein mit ihr, das er sich schon in allen Einzelheiten vorgestellt hatte, war nichts als ein Traum, der nie verwirklicht werden würde. Er war wieder frei. Frei! Er brauchte keinen seiner Pläne aufzugeben, er konnte mit seinem Leben wieder anfangen, was er wollte. Er empfand keine Freude, nur Bestürzung. Das Herz wurde ihm schwer. Die Zukunft erstreckte sich vor ihm in trostloser Öde. Es war, als wäre er viele Jahre lang über weite Wasserwüsten gesegelt, immer in Gefahren und Entbehrungen, und hätte dann schließlich einen friedlichen Hafen entdeckt. Im Augenblick jedoch, als er dort einlaufen wollte, war ein Gegenwind gekommen und hatte ihn wieder auf das offene Meer hinausgetrieben. Und da er im Geiste bereits sanfte Wiesen und einladende Wälder geschaut, erfüllte ihn die endlose Wüste des Meeres mit Schrecken. Er konnte die Einsamkeit und die Stürme nicht länger ertragen. Sally blickte ihn mit ihren klaren Augen an.
    »Freut dich das nicht?«, fragte sie nochmals. »Ich habe gedacht, du wärst heilfroh darüber.«
    Er sah sie mit verstörtem Blick an.
    »Ich bin mir nicht sicher«, murmelte er.
    »Du bist komisch. Die meisten Männer wären froh.«
    Er erkannte nun, dass er sich selbst betrogen hatte. Es war kein Opfer, keine Selbstüberwindung, die ihn eine Heirat hatte wünschen lassen, nur die Sehnsucht nach einer Frau, einem Heim, nach Liebe. Wie all das ihm jetzt wieder durch die Finger glitt, ergriff ihn Verzweiflung. Das gerade war es in Wirklichkeit, was er wünschte, mehr als sonst etwas in der Welt. Was ging ihn Spanien an, Córdoba, Toledo, León? Was bedeuteten ihm die Pagoden von Burma und die Lagunen der Südseeinseln? Hier war das Land der Erfüllung. War er nicht sein ganzes Leben hindurch den Idealen gefolgt, die ihm andere in Wort oder Schrift vorgegaukelt hatten? Hatte er jemals getan, was er aus eigenem Herzen ersehnte? Immer hatte er sich durch die Erwägung leiten lassen, was er tun sollte, niemals durch das, was er aus tiefster Seele wünschte. Mit einer ungeduldigen Geste fegte er all das beiseite. In der Zukunft hatte er gelebt, die Gegenwart war ihm dabei stets durch die Finger geronnen. Seine Ideale? Da hatte er also gewünscht, ein schönes, kompliziertes Muster aus den Myriaden von bedeutungslosen Dingen des Lebens zu machen – hatte er denn nicht bedacht, dass das einfachste Muster: Der Mensch wird geboren, arbeitet, hat Kinder und stirbt, auch gleichzeitig das vollkommenste ist? Vielleicht kam es einer Niederlage gleich, wenn man sich dem Glück hingab, dennoch – diese Niederlage war besser als viele Siege.
    Er warf schnell einen Blick auf Sally – woran sie wohl denken mochte? – und wandte seinen Blick wieder ab.
    »Ich hatte dich bitten wollen, mich zu heiraten«, sagte er.
    »Ich hatte mir schon gedacht, dass du das vielleicht tun würdest, aber ich hätte dir nicht gerne im Weg gestanden.«
    »Das hättest du nicht.«
    »Und deine Reisen, Spanien und all das?«
    »Woher weißt du denn, dass ich reisen möchte?«
    »Das sollte ich ja nun wohl allmählich wissen. Ich habe dich und Vater so oft davon reden hören, bis euch der Kopf schwoll.«
    »Nicht das Geringste mache ich mir daraus.« Er hielt einen Augenblick inne und sprach dann mit leisem, heiserem Geflüster: »Ich will nicht von dir weg, ich kann nicht!«
    Sie antwortete nicht. Er hätte nicht sagen können, was sie dachte.
    »Ob du mich wohl heiraten willst, Sally?«
    Sie regte sich nicht. In ihrem Gesicht war kein Ausdruck eines Gefühls zu erkennen. Aber sie sah ihn nicht an, als sie antwortete:
    »Wenn du magst.«
    »Möchtest du es denn von dir aus nicht?«
    »Oh, natürlich, ich möchte schon mein eigenes Zuhause haben, und es wird wohl Zeit, dass ich daran denke.«
    Er lächelte ein wenig. Er kannte sie doch schon recht gut, ihre Art überraschte ihn nicht mehr.
    »Aber möchtest du denn gerade mich heiraten?«
    »Ich würde niemanden sonst heiraten.«
    »Dann ist ja alles gut.«
    »Vater und Mutter werden sich wundern,

Weitere Kostenlose Bücher