Der Menschen Hoerigkeit
ihnen zu befreien, und der war, sie alle zu Papier zu bringen. Nachdem ich mich einige Jahre hindurch den strengen Anforderungen des Dramas unterworfen hatte, sehnte ich mich nach der größeren Freiheit des Romans. Ich wusste, das Buch, das ich schreiben wollte, würde umfangreich werden, und ich wollte ungestört sein. So lehnte ich die Verträge ab, die Manager mir eifrig anboten, und zog mich für einige Zeit von der Bühne zurück. Damals war ich siebenunddreißig.
Noch lange nachdem das Schreiben zu meinem Beruf geworden war, verwendete ich viel Zeit darauf, schreiben zu lernen, und unterzog mich einem sehr ermüdenden Training, in dem Bemühen, meinen Stil zu verbessern. Aber diese Anstrengungen gab ich auf, als meine Stücke aufgeführt wurden, und als ich wieder zu schreiben begann, hatte ich ein anderes Ziel. Ich trachtete nicht länger danach, brillante Prosa und einen ereignisreichen Text zu schreiben; mit diesen unnützen Unternehmungen hatte ich zuvor viel Zeit vergeudet. Im Gegenteil, jetzt suchte ich nach Klarheit und Einfachheit. Da ich innerhalb vernünftiger Grenzen so viel ausdrücken wollte, fühlte ich, dass ich keine Worte verschwenden durfte; daher wollte ich mich nur auf das beschränken, was notwendig war, um den Sinn verständlich zu machen. Ich hatte keinen Raum für Ausschmückungen. Meine Erfahrung mit dem Theater hatte mich den Wert der Kürze gelehrt. Ich arbeitete zwei Jahre lang unablässig. Ich wusste nicht, wie ich mein Buch nennen sollte, und nachdem ich mich lange umgesehen hatte, stieß ich zufällig auf Beauty from Ashes, ein Zitat aus Jesaja, das mir treffend erschien; aber als ich erfuhr, dass dieser Titel eben erst verwendet worden war, war ich gezwungen, nach einem anderen zu suchen. Schließlich wählte ich den Namen eines der Bücher von Spinozas Ethik und nannte meinen Roman Of Human Bondage. Wiederum empfinde ich es als glücklichen Zufall, dass ich den ersten Titel, den ich zunächst im Sinn hatte, nicht hatte verwenden können.
Der Menschen Hörigkeit ist keine Autobiographie, sondern ein autobiographischer Roman; Wirklichkeit und Fiktion sind untrennbar verbunden; die Gefühle sind meine eigenen, aber nicht alle Vorfälle werden so erzählt, wie sie sich ereignet haben; anderes, das ich nicht selbst erlebte, sondern Menschen, mit denen ich eng befreundet war, wurde auf den Helden projiziert. Das Buch hat für mich seinen Zweck erfüllt. Als es erschien (in einer Welt, die in den Wehen eines schrecklichen Krieges lag und die zu sehr mit ihren eigenen Schmerzen und Ängsten beschäftigt war, als dass sie sich um die Abenteuer einer erfundenen Figur gekümmert hätte), war ich frei von den Schmerzen und den traurigen Erinnerungen, die mich gemartert hatten. Es wurde sehr gut rezensiert; Theodore Dreiser schrieb für The New Republic eine ausführliche Besprechung, in der er sich mit dem Verständnis und Wohlwollen, das all seine Werke auszeichnet, damit befasste. Aber es sah ganz so aus, als würde dieser Roman denselben Weg nehmen wie die überwiegende Mehrzahl der Romane und einige Monate nach seinem Erscheinen für immer in Vergessenheit geraten. Ich weiß nicht aufgrund welchen Zufalls, aber nach einigen Jahren zog er die Aufmerksamkeit einer Reihe bekannter Autoren in den Vereinigten Staaten auf sich. Ihre wiederholten Empfehlungen in der Presse lenkten nach und nach die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ihn. Diesen Schriftstellern verdanke ich die Wiederbelebung des Romans und den Erfolg, den er im Lauf der Jahre in zunehmendem Maße hatte.
1
Grau und trübe brach der Tag an. Die Wolken hingen schwer, und es lag eine Rauheit in der Luft, die Schnee ankündigte. Eine Hausangestellte trat in ein Zimmer, in dem ein Kind schlief, und zog die Vorhänge zurück. Sie warf einen mechanischen Blick auf das gegenüberliegende Haus, ein Stuckhaus mit einem Säulenportal, und trat an das Bett des Kindes.
»Wach auf, Philip«, sagte sie.
Sie schlug die Decke zurück, nahm ihn auf den Arm und trug ihn hinunter. Er war noch im Halbschlaf.
»Deine Mutter lässt dich holen«, sagte sie.
Sie öffnete die Tür eines im unteren Stockwerk gelegenen Zimmers und trug das Kind zu einem Bett, in dem eine Frau lag. Es war seine Mutter. Sie streckte die Arme aus, und der Knabe schmiegte sich zärtlich an sie. Er fragte nicht, warum man ihn geweckt hatte. Die Frau küsste seine Augen und befühlte mit ihren mageren kleinen Händen seinen warmen Körper unter dem weißen
Weitere Kostenlose Bücher