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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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wird.
    Sie versuchte die Nerven zu behalten, und mobilisierte ihre letzten Kräfte, um der Polizei eine möglichst detaillierte Beschreibung dieses Dr. Werner zu geben. Schließlich fuhr sie mit aufs Revier, und am Computer wurde ein Phantombild erstellt.
    »Der Bart könnte falsch und die Brille nur Tarnung sein«, gab der Computerfachmann zu bedenken. »Wir werden mindestens vier Varianten veröffentlichen: eine mit Bart und Brille, eine ohne alles, eine nur mit Bart und eine nur mit Brille. Wäre doch gelacht, wenn diesen Typen nicht irgendeiner erkennt.«
    Nach ihrem Besuch bei der Kripo fuhr Tillie noch einmal zurück ins Krankenhaus. Sie überlegte, ihre Mutter anzurufen, ließ es aber dann bleiben, weil sie sich nicht in der Lage fühlte, das Geschehene zu schildern. Außerdem wusste sie, dass ihre Mutter ihr Vorwürfe machen würde, und das konnte sie jetzt nicht auch noch ertragen. Meist gipfelten diese Anschuldigungen dann darin, dass sie ihr vorwarf, eine miserable Mutter ohne jedes Verantwortungsgefühl und nicht in der Lage zu sein, ein Kind wie Yvonne allein großzuziehen.
    Als Tillie ankam, hatte Leonie das Krankenhaus bereits verlassen. Tillie war fast froh darüber, so blieb es ihr erspart, ihr noch einmal gegenübertreten und in die Augen sehen zu müssen.
    Sie ging auf ihre Station und verabschiedete sich von ihren Kollegen.
    »Ich habe gekündigt«, sagte sie, »alles, was passiert ist, ist meine Schuld. Wie ich das aushalten soll, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass ich hier nicht mehr arbeiten kann. Ich würde vor Angst um jedes Baby verrückt werden, ich würde jedem Menschen, jedem Vater, jedem Besucher misstrauen, es geht einfach nicht. Ich wünsche euch alles Gute!«
    Das Schweigen im Raum war unerträglich.
    Schließlich nahm sie ein Kollege in den Arm. »Mach’s gut!«, flüsterte er.
    Auch die anderen folgten nun seinem Beispiel. Einige verdrückten ein paar Tränen. Tillie hatte immerhin neun Jahre auf der Station gearbeitet und war eine verlässliche, angenehme Kollegin gewesen. Sie würde ihnen fehlen.

SECHSUNDDREISSIG
    Der Lufthansaflug aus Frankfurt landete pünktlich in Fuhlsbüttel. Tobias kam jede Minute vor wie eine Stunde, er konnte es einfach nicht mehr erwarten, endlich sein kleines Töchterchen zu sehen und im Arm zu halten. Er hatte in den letzten Tagen in New York zu tun gehabt, war jetzt seit fünfzehn Stunden unterwegs und fühlte sich todmüde und hellwach zugleich. Auf die Gepäckausgabe musste er nicht warten, da er nur mit Handgepäck reiste, und zum ersten Mal drängelte und schubste er, um schneller aus dem Flugzeug zu kommen.
    Als er durch die Halle hastete, blieb er plötzlich wie vom Donner gerührt stehen. Aus einem Fernseher, der unermüdlich Nachrichtensendungen ausstrahlte, hörte er den Namen Lisa-Marie Altmann .
    Das ist ein seltener Name, schoss ihm in Bruchteilen von Sekunden durch den Kopf, so einen Zufall gibt es nicht, die meinen mich, uns, das Baby. Und er spürte, dass ihm der Angstschweiß ausbrach und augenblicklich seinen Anzug durchfeuchtete.
    Er war kaum in der Lage, zu begreifen, was berichtet wurde, und nur Bruchstücke hakten sich in seinem Gehirn fest. Baby aus der Klinik gestohlen war der einzige Satz, der schließlich noch in seinem Kopf kreiste. Sein Baby war gestohlen? Das konnte nicht sein. Es musste sich einfach um eine andere Lisa-Marie, eine zweite Lisa-Marie Altmann handeln, sagte er sich, um sich selbst zu beruhigen und hier in der Flughafenhalle nicht zusammenzubrechen. Aber gleichzeitig war ihm klar, dass es niemals eine zweite neugeborene Lisa-Marie Altmann in Buchholz geben konnte.
    Mit zitternden Händen nestelte er sein Handy aus der Innentasche seines Anzugs, dabei fiel es ihm aus der Hand und auf den Boden. Als er es aufhob, hatte es einen Sprung auf dem Display, ließ sich aber noch anschalten. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis das Handy die PIN akzeptiert hatte und hochgefahren war. Sieben neue Nachrichten zeigte es an.
    Tobias hörte sie nicht ab, sondern rannte los.
    Er sprang in ein Taxi, lockerte seine Krawatte, weil er zu ersticken glaubte, und merkte gar nicht, dass er seine Adresse schrie.
    Der Taxifahrer zog die Augenbrauen hoch, schüttelte den Kopf und fuhr los.
     
    Leonie sah aus wie ein Gespenst, als sie ihm in die Arme fiel. Blass und schwach und mit tiefen, dunklen Schatten unter den Augen, die er zuvor noch nie an ihr gesehen hatte.
    Sie war nicht in der Lage zu reden, sondern weinte

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