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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Gesichtchen, der die Augen geschlossen hatte und die winzigen Finger abwehrend abspreizte.
    Der Fall wurde kurz geschildert, man zeigte die verschiedenen Varianten des Phantombildes, das nach Tillies Aussage erstellt worden war, und bat die Bevölkerung um Mithilfe. Vielleicht hatte irgendjemand diesen Mann mit einem Baby gesehen. Hinweise bitte an jede Polizeidienststelle. Außerdem wurde die Telefonnummer von Kommissar Wittek eingeblendet, der den Fall übernommen hatte und mit dem Tobias fast rund um die Uhr in Kontakt stand.
    Wittek war selbst Vater dreier Kinder und konnte gut nachempfinden, wie es der Familie Altmann zurzeit ging. Daher ging es ihm auch nicht auf die Nerven, wenn Tobias fünfmal am Tag anrief, um sich zu erkundigen, ob es irgendetwas Neues gegeben hatte und vielleicht ein Silberstreif am Horizont zu sehen war.
    »Wir überprüfen zurzeit ähnliche Fälle von Kindesentführung, bei denen das Kind nach Stunden oder wenigen Tagen wiedergefunden wurde. Auch wenn die Tat Jahre zurückliegt, denn der eine oder die andere kann es vielleicht nicht lassen. Und wir gehen jedem Hinweis aus der Bevölkerung nach. Mehr können wir im Moment nicht tun.«
    »Das ist zu wenig«, meinte Henning am Abend zu seinem Sohn. »Ich finde, wir sollten nichts unversucht lassen und zusätzlich eine renommierte Detektei einschalten. Solange die Spur heiß ist, müssen wir Himmel und Hölle in Bewegung setzen. In einem Monat ist es zu spät.«
    Tobias nickte. Sein Vater hatte völlig Recht. Im Moment interessierten sich Freunde, Bekannte, Verwandte und vor allem die Medien für die kleine geraubte Lisa-Marie, spätestens in ein paar Wochen würden sie jedoch wieder völlig auf sich allein gestellt sein.
     
    »Es tut mir leid.« Leonie stand blass und schmal in der Tür. »Ich weiß nicht, warum ich so ausgeflippt bin, es ist mir auch klar, dass du es nur gut gemeint hast. Bitte, sei nicht böse.«
    »Schon gut.« Hella stand auf und nahm Leonie in den Arm. »Schon gut.« Sie küsste ihre Schwiegertochter auf die Wange. »Wir haben alle keine Nerven mehr, aber wir sollten versuchen, uns nicht zu streiten. Sonst können wir die Situation nicht aushalten.«
    Ich kann die Situation schon lange nicht mehr aushalten, was weißt du denn, dachte Leonie. Sie hatte ihre kleine Tochter nur wenige Stunden gesehen, gestreichelt und liebkost, aber sie hatte das Gefühl, noch nie ein Wesen so sehr geliebt zu haben.

NEUNUNDDREISSIG
    Mittags um halb zwei erreichte Jonathan La Passerella. Er war von Verona bis zum Valdarno ohne Pause durchgefahren, da Lisa-Marie fast ununterbrochen schlief. Ihr kleines Gesicht glühte, und auch während er über die Autobahn raste, schob er ihr immer wieder die Nuckelflasche zwischen die Lippen, damit sie bei dem hohen Fieber nicht austrocknete. Das Autofenster war auf der Fahrerseite nur einen Spaltbreit offen, die dicke Babydecke hatte er auf den Rücksitz gelegt und Lisa-Marie nur mit einem leichten Pullover zugedeckt. Es war wichtig, dass ihr Körper Hitze abgeben konnte, aber sie durfte auf gar keinen Fall Zug bekommen.
    Fast lautlos rollte er in seinem Wagen vor das Haus. Von drinnen war kein Laut zu hören. Riccardo und Amanda machten wahrscheinlich Mittagsschlaf, aber Sofia schlief nie nach dem Essen.
    Sein Herz krampfte sich zusammen. Wo war sie?
    Er nahm Lisa-Marie auf den Arm und trug sie ins Haus.
    Sofia saß mit dem Rücken zu ihm in ihrem Lieblingssessel am Fenster, hatte Kopfhörer auf den Ohren und hörte Musik. Daher merkte sie nicht, wie er ins Zimmer kam.
    Einen Augenblick verharrte er reglos und sah sie an. Alle Wut, dass er sie telefonisch nicht erreicht hatte, war verflogen.
    Jetzt würde er ihr sein größtes Geschenk machen.
    Langsam ging er zu ihr und legte ihr das Baby auf den Schoß.
    Sofia erschrak im ersten Moment, aber dann befühlte sie ungläubig und fassungslos das kleine Wesen mit der heißen Nase.
    »Sie ist für dich«, sagte Jonathan leise. »Deine und meine Tochter. Sie hat ihre Mutter verloren. Liebe sie, sorge für sie, sie hat niemand anderen mehr.«
    Sofia fing vor Aufregung an zu stottern. »Jonathan, ich versteh nicht …«
    »Ich werde dir alles erklären, Liebste.« Er küsste sie aufs Haar. »Aber zuallererst müssen wir uns um die Kleine kümmern. Sie muss gewickelt und gefüttert werden, und sie hat Fieber.«
    Sofia stand auf und hielt ihm das Baby hin. »Hilf mir!« Sie war unsicher, hatte noch nie so ein zerbrechliches Wesen auf dem Arm gehabt und Angst,

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