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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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hatte, und in seinem Portemonnaie waren vierhundert Euro, die er an einem Geldautomaten gezogen hatte. Falls es Riccardo auch noch gelingen sollte, die vollen Gasflaschen anzuschließen und heißes Wasser in die eiskalte Bude zu zaubern, war alles perfekt.

ACHT
    Das Grundstück lag vollkommen verlassen da, Sofia war nirgends zu sehen, und auch Amanda gab Ruhe.
    Im fahlen Licht der Außenlaterne konnte Jonathan den Regen sehen, wahre Wassermassen, die seit Stunden vom Himmel stürzten und den Weg vor dem Haus in einen reißenden Bach verwandelt hatten. Fasziniert stand er am Fenster, während sich kleine Flammen mühsam durch das Holz fraßen, das Jonathan im Kamin aufgeschichtet hatte. Außerdem hatte er die Gasflammen des Herdes angeschaltet. Noch war von der Wärme nichts zu spüren, er musste einfach noch ein bisschen Geduld haben.
    Die Gasflaschen waren installiert, das warme Wasser funktionierte, aber er wollte sich erst unter die Dusche stellen, wenn die Wohnung wenigstens eine Grundwärme von dreizehn oder vierzehn Grad erreicht hatte. Als er sich mehrmals bei Riccardo für die Hilfe am Nachmittag bedankt hatte, grinste dieser nur breit und fasste sich grüßend an die Mütze, bevor er im Holzschuppen verschwand.
    Weil es auf La Passerella nur wenige Geräusche der Zivilisation gab – nur selten flog ein Hubschrauber über die Gegend oder hörte man eine einsame Motorsäge im Wald -, kam ihm der Abend, obwohl er keine Vergleichsmöglichkeiten hatte, noch stiller vor. Nur das unaufhörliche Rauschen des Regens war zu hören.
    Er ging zu seinem noch immer unausgepackten Koffer, entnahm die Papprolle, zog das Bild heraus und glättete es langsam und vorsichtig.
    Minutenlang sah er es an. Als er spürte, dass sich sein Herzschlag beschleunigte und er es nicht mehr ertragen konnte, stand er auf, legte es zur Seite und warf noch ein paar Holzscheite ins Feuer.
     
    Zwei Jahre nach dem Theaterball und dem Gespräch mit Jonathan eröffnete Jana ihr Tanzstudio »Primaballerina« und blühte regelrecht auf. Sie war vergnügt und strotzte vor Kraft, zehn Stunden Tanzunterricht schienen ihr überhaupt nichts auszumachen. Und Jonathan hatte Recht behalten: Nach einer Übergangszeit von einem halben Jahr konnte sich Jana vor Schülern und Schülerinnen kaum retten, nach einem Jahr musste sie bereits Anfragen ablehnen und eine immer länger werdende Warteliste anlegen.
    Auch das Verhältnis zu Giselle wurde besser, da Jana keine Zeit mehr hatte, sie unentwegt zu beobachten, und damit aufhörte, andauernd an ihr herumzumeckern.
    Und nichts anderes wollte Giselle: ihre Ruhe haben.
    Als Giselle dreizehn war, baute Jonathan ihr das Dachgeschoss aus. Dort hatte sie jetzt fast eine eigene kleine Wohnung und ein Atelier. Jonathan hatte eine Gaube ins Dach setzen lassen, so hatte der Raum viel Licht, und Giselle konnte über die Stadt sehen, während sie malte.
    Es war fast peinlich, und die Jessens wagten kaum, es auszusprechen, aber sie waren alle drei verdammt glücklich und dankten ihrem Schicksal.
    1996 machte Giselle mit Leichtigkeit, das heißt ohne großen Arbeitsaufwand, Abitur, denn sie brauchte immer mehr Zeit für ihre aufwendige Malerei. Mittlerweile malte sie gestochen scharf, eine Art fotografischen Realismus, auch wenn ihre Motive oft irreal waren. Es gab keinen, der, wenn er auf ihre Bilder aufmerksam wurde, nicht darüber staunte, was diese noch sehr junge Frau zustande brachte. Sie ging nicht auf Feste, auf keine Partys, besuchte noch nicht einmal die Events, die ihr Vater ausrichtete. Sie malte wie eine Besessene und hatte weder eine beste Freundin noch einen Freund. 1997 bewarb sie sich an der Akademie für ein Kunststudim. Auch die Aufnahmeprüfung war ein Witz für sie. Der Professor sah sich lediglich drei ihrer Bilder an, hieß sie herzlich willkommen und sah der weiteren Entwicklung dieses Ausnahmetalentes an der Akademie mit Spannung entgegen.
    Jana und Jonathan waren stolz auf ihre Tochter.
     
    Giselle hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, mindestens zweimal in der Woche irgendwohin zu fahren, um neue Inspirationen zu sammeln und zu zeichnen. Sie setzte sich in die U-Bahn, in Busse oder in Cafés, zeichnete Liebespaare am Strand des Wannsees oder tobende Kinder in der Badeanstalt. Sie saß in Kirchen, auf der Museumsinsel, vor dem Reichstag oder einfach im Wald. Sie legte sich auf Wiesen und skizzierte winzige Blumen und Blätter. Stundenlang saß sie im Zoo und zeichnete Tiere in Bewegung oder

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