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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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hinaus.
    »Mein Vater schläft jetzt eine halbe Stunde«, erklärte Sofia, »dann können Sie fahren.«
    »Gut. Ich hole meine Sachen und werde auf ihn warten. Vielen herzlichen Dank für das Essen.«
    Er deutete eine Verbeugung an und verließ die Küche.
    »Hör auf zu saufen, Mama!« Sofia ertastete auf dem Tisch die fast leere Flasche, nahm sie Amanda weg und stellte sie zurück ins Regal.
    »Halt die Klappe«, lallte Amanda.
    Als sie ging, prallte sie gegen die Tür und stürzte, aber sie zog sich allein am Türrahmen wieder hoch.
    »Alles prima, alles bestens, alles gut«, brummte sie, »macht euch keine Sorgen, Amanda ist bald wieder fit. Ich muss nur ein Stündchen schlafen.«
    Damit verschwand sie, und eine Weile später hörte Sofia es krachen. Vielleicht war das Bett zusammengebrochen, oder Amanda hatte den Nachttisch umgeworfen.
    Sofia zuckte die Achseln und begann, den Tisch abzuräumen. Den klebrigen Fleck bemerkte sie nicht, und sie ging auch nicht nach oben, um herauszufinden, ob ihrer Mutter etwas passiert war.

SIEBEN
    Für Riccardo war es kein Problem, dass er sich mit Jonathan nicht unterhalten konnte, es war ihm sogar lieber, schweigend nach Ambra zu fahren. Auf der Ladefläche des Pick-ups rumpelten zwei leere Gasflaschen, die er gegen volle austauschen wollte, damit Jonathan am Abend heißes Wasser hatte.
    Schade, dass Sofia Jonathan nicht sehen kann, dachte er, er würde ihr gefallen. Hier auf La Passerella lebte sie völlig isoliert, allein konnte sie nicht ins Dorf, und die Ehe-und Kinderlosigkeit klebten zusammen mit ihrer Blindheit an ihr wie ein ewiger Makel. Riccardo glaubte nicht mehr daran, dass sich noch je ein Mann für Sofia interessieren könnte.
    Im Lauf der Jahre hatte es Riccardo auch geschafft, die »arme Amanda« – wie er und Sofia sie nannten, wenn sie nicht dabei war – nicht mehr zu sehen und sich an ihrer Anwesenheit nicht mehr zu stören. Wenn sie ins Zimmer kam, registrierte er sie gar nicht, hörte nicht auf das, was sie sagte, und meist antwortete er auch nicht, wenn sie ihn etwas fragte. Die arme Amanda war Luft für ihn, nur so konnte er es ertragen, mit ihr in einem Haus zu leben.
    Es kam äußerst selten vor, dass ein Fremder bei ihnen am Tisch saß. Die wenigen Gäste, die im Sommer eine Ferienwohnung mieteten, grüßten freundlich und zogen sich zurück. Sie spürten unwillkürlich, dass Amanda kein Mensch war, mit dem man unbedingt Kontakt aufnehmen sollte, außerdem konnten die wenigsten mit Sofias Blindheit umgehen. Sie genierten sich und hatten lieber nichts mit der Familie Valentini zu tun.
    Riccardo konnte immer noch nicht begreifen, was Jonathan bewog, sich im Winter in diese eiskalte, klamme Wohnung einzumieten. Eigentlich war er davon ausgegangen, dass er nicht länger als eine Nacht bleiben würde, aber jetzt plante er ein paar Monate. Das war nicht normal. Riccardo war sicher, dass er irgendetwas auf dem Kerbholz hatte, auf der Flucht war oder sich verstecken musste. Vielleicht würde er es irgendwann erfahren, vielleicht auch nicht. Andere Gründe fielen Riccardo jedenfalls nicht ein. Dass Jonathans Bleiben etwas mit Sofia zu tun haben könnte, kam ihm überhaupt nicht in den Sinn.
    Aber immer wenn ein Gast da war, wurde die arme Amanda für ihn wieder sichtbar. Er sah sie dann mit dessen Augen und schämte sich für sie. Er bemerkte ihr Schmatzen, Schlürfen und Kleckern, und ihm fiel nach Monaten wieder der Schmutz auf, der überall in der Küche und auf dem Geschirr klebte. Ihn grauste, wenn er sah, wie viel Sambuca sie in sich hineinschüttete, und am liebsten hätte er sämtliche Flaschen, die noch im Haus waren, über der steinernen Spüle zerschlagen, um dem Spuk ein Ende zu bereiten. Und es tat ihm plötzlich leid, dass er das alles so lange ignoriert hatte. Aber eine betrunkene Amanda war eine angenehme Amanda, weil sie im Bett lag und nicht störte. Alle paar Monate brach sie sich die Knochen, wenn sie die Treppe runterfiel oder hinaufstolperte, und auch dann war sie eine gute Amanda, denn es war einfacher, sie im Bett zu füttern und ab und zu ins Bad zu schleppen, als ihre laute Anwesenheit im Wohnzimmer, in der Küche oder auf der Terrasse zu ertragen.
    Vor gut dreißig Jahren war Amanda eine Schönheit gewesen, sie sah aus wie Ornella Muti. Was hat diese bella donna hier eigentlich verloren?, tuschelten die Frauen beim Fegen der Fußwege, was will sie denn, einen Klempner, Bauern oder Bäcker heiraten und ihm die Arbeitshosen waschen?

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