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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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dazu nutzte, zu rauchen, und seine Lieblingsbeschäftigung bestand darin, von seinem jungen Geliebten zu schwärmen und sich selbst und sein Schwulsein mit albernen Witzchen, kleinen Anekdoten und exaltiertem Getöle auf den Arm zu nehmen. Er hieß Benjamin Sippy und wurde von allen nur »Missis Sippy« genannt. Es gab niemanden, der Missis Sippy nicht mochte, er war fröhlich und liebenswert, immer bestens gelaunt und der gute Geist der Ballettschule.
    Jana wusste, dass Missis Sippy sie jetzt mindestens drei Tage lang bedauern, pflegen, auf Händen tragen und ab und zu während der Ballettstunde lauthals »battement tendu jeté« oder »pas échappé sauté« rufen würde, als habe sie nicht nur ihre Beweglichkeit, sondern auch ihre Stimme verloren. Ein Unding eigentlich, aber Missis Sippy konnte man einfach nicht böse sein.
    »Ich habe mich gelangweilt«, sagte sie, während sie ins Haus gingen. »Die Inszenierung war grottenschlecht. Ich weiß nicht, wie es dir ging, aber den Regisseur sollte man verhauen.«
    Jonathan grinste. »Meinst du nicht, dass dir dein Umknicken nach der Pause die gesamte Vorstellung verleidet hat? Mir hat es nämlich ganz gut gefallen.«
    Am liebsten hätte er »sehr gut gefallen« gesagt, aber er wusste, dass Jana dann wütend werden würde, und er wollte sie nicht reizen. So schnaufte sie nur verächtlich.
    »Ich brauche jetzt ein Glas Wein und einen Eisbeutel für meinen Knöchel.«
    »Bekommst du alles.« Jonathan nahm ihr den Mantel ab und folgte ihr wenig später mit einer Flasche Rotwein ins Wohnzimmer.
    »Ist Giselle noch wach?«, fragte Jonathan.
    »Ich denke schon. Jedenfalls war bei ihr oben noch Licht.«
    »Vielleicht sollte ich raufgehen und sie fragen, ob sie noch ein Glas mit uns trinken will?«
    »Tu das.« Jana legte ihr Bein hoch. »Und vergiss bitte das Eis nicht.«
    Jonathan nickte und ging die Treppe nach oben. Jana versuchte die Flasche zu öffnen, was im Liegen ziemlich schwierig war.
    »Giselle!«, rief er leise und klopfte an die Tür. »Bist du noch wach?«
    »Ja«, antwortete sie.
    »Und? Was machst du?«
    »Ich arbeite.«
    Jonathan hasste es, sich durch die geschlossene Tür zu unterhalten, und drückte die Klinke herunter.
    Als er ins Zimmer kam, traf ihn fast der Schlag. Vor seiner Tochter saß ein splitterfasernackter junger Mann, den sie zeichnete. Der Mann nahm schnell ein Halstuch von Giselle, das über der Stuhllehne hing, und bedeckte damit seine Blöße.
    Einen Moment verschlug es Jonathan die Sprache. Dann sagte er verunsichert: »Guten Abend.«
    »Hei, Paps!« Giselle strahlte ihn an. »Das ist Patrick. Er steht mir Modell, aber wir sind gleich fertig. Patrick, das ist mein Vater.«
    »’n Abend«, sagte auch Patrick mit gequältem Lächeln, da er keine Lust hatte, nackt aufzustehen und Jonathan zu begrüßen, aber er wollte auch nicht unhöflich erscheinen.
    »Möchtet ihr ein Glas Wein mit uns trinken?«, stotterte Jonathan.
    »Nein. Heute nicht, wirklich nicht, danke. Wir wollen uns noch ein bisschen unterhalten, und dann gehen wir auch ins Bett. Morgen können wir etwas länger schlafen, wir müssen beide erst um elf in die Uni. Macht euch keine Gedanken, wir kochen uns selber Kaffee.«
    »Na dann …«, Jonathan stand hilflos im Raum. Ihm fiel absolut nichts ein, was er noch sagen konnte. »Also, dann: Gute Nacht!«
    Patrick nickte nur, und Giselle gab ihrem Vater einen Kuss auf die Wange. »Schlaf schön. Bis morgen.«
    »Ja ja. Bis morgen.« Jonathan verließ das Zimmer und zog leise die Tür hinter sich zu.
    »Kommt sie nicht?«, fragte Jana, als er wieder ins Wohnzimmer kam. Sie reichte ihm ein Glas Wein.
    »Nein.« Jonathan schüttelte den Kopf.
    »Warum denn nicht?«
    »Weil sie nicht allein ist, Jana. Vor ihr sitzt ein nackter Jüngling mit blonden Haaren und gut durchtrainiertem Body, der schätzungsweise zwei, drei Jahre älter ist als Giselle. Er heißt Patrick, ist auch Student und offensichtlich ihr Freund. Und er wird heute Nacht bei Giselle übernachten.«
    Jana grinste. »Meinst du, ich kann raufgehen und ihn mir auch mal angucken?«
    »Nein, das kannst du nicht!« Jonathan war fast empört über die Frage. »Er ist nackt, verdammt. Noch zeichnet sie, aber in fünf Minuten kann das schon ganz anders aussehen. Es reicht doch, wenn du ihn morgen kennenlernst, oder?«
    »Natürlich. So ernst war das auch nicht gemeint, Jon. Warum gehst du denn gleich so an die Decke? Ich finde es wundervoll, dass Giselle endlich einen Freund hat,

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