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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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denn ich dachte schon, bei ihr ist irgendwas nicht in Ordnung, sie kann ja nicht nur mit ihren Pinseln verheiratet sein.« Sie lachte, er nicht.
    Jonathan nahm einen tiefen Schluck Wein und setzte sich.
    Jana sah ihn an. Dann legte sie eine Hand auf Jonathans Arm. »Du musst nicht eifersüchtig sein, Jon. Giselle ist eben erwachsen und kein Mädchen mehr. Das ist doch nicht so schwer zu begreifen!«
    »Doch, das ist schwer zu begreifen!« Jonathan sprang auf und lief durch den Raum. »Herrgott, Jana, da oben sitzt ein nackter Kerl bei meiner Tochter im Zimmer! Das ist, als wäre ein Ufo in unserem Garten gelandet! Ich bin völlig durch den Wind, Jana, und ich möchte dem Typen da oben am liebsten die Zähne ausschlagen. Verstehst du das?«
    Jana lachte.
    »Natürlich verstehe ich das! Und nun komm und setz dich zu mir und trink mit mir ein Glas Wein. Und wenn du willst, drehen wir die Musik lauter, damit wir nicht hören, was da oben passiert.«
    Sie stand auf, humpelte zu ihm, umarmte ihn und zog ihn zu sich auf die Couch.
     
    Einen Monat später, am Tag von Jonathans Geburtstag, war Giselle vormittags in der Akademie. Ihr Selbstporträt war fertig, und sie hatte es dabei, weil sie sich daran erinnerte, was Patrick gesagt hatte, und wollte es nun ihrem Professor zeigen, bevor sie es verschenkte.
    »Giselle«, sagte Dr. Schiewer, »Sie haben ein Meisterwerk geschaffen, so etwas habe ich hier an der Akademie schon lange nicht mehr gesehen. Ich würde es gern ausstellen. Könnten Sie es ein Semester lang entbehren?«
    »Nein«, erwiderte Giselle mit fester Stimme, »leider nicht. Es ist ein Geschenk für meinen Vater. Er hat heute Geburtstag.«
    Dr. Schiewer lächelte. »Ach so. Nun ja, das verstehe ich. Aber vielleicht macht ja Ihr Vater eine Leihgabe an die Akademie.«
    »Das kann sein.« Giselle fühlte sich ungemein geschmeichelt. »Ich werde ihn fragen.«
    Wenige Stunden später stand sie in der Bleibtreustraße an der Ampel und freute sich auf den Geburtstag ihres Vaters, weil sie es gar nicht erwarten konnte, ihm ihr Porträt zu schenken.
    Sie wartete auf Grün und war ganz in Gedanken, als plötzlich ein diffuses Gefühl der Angst ihre Brust zusammenschnürte. Wie ein warmer Wind, der einem trotz kühler Luft ins Gesicht drückt, als rolle eine Feuerwand auf einen zu.
    Unwillkürlich hielt sie den Atem an und drehte sich irritiert um. Ein schwarzer Golf schoss mit ungeheurem Tempo auf die Kreuzung, direkt auf einen von rechts kommenden weißen Kleintransporter zu. Bremsen quietschten, der Fahrer des Golf riss das Steuer herum, der Wagen brach aus und schleuderte auf Giselle zu.
    Mit voller Wucht krachte der hintere Kotflügel gegen ihre Hüfte, ihre Knochen splitterten wie Glas, sie flog durch die Luft wie eine Puppe, und ihr Kopf schlug hart gegen den Ampelmast auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Als würde ein Lastwagen über ihren Schädel fahren.
    Dann stürzte sie auf das Pflaster.
    Die Sekunden danach waren vollkommen still. Als halte die gesamte Stadt den Atem an und als gäbe es keine Stimmen, keine Motoren, kein Leben mehr.
    Giselle bewegte sich nicht. Blut lief ihr aus Nase, Mund und Ohren. Und nur wenige Meter weiter fuhr ein Lastwagen über das Ölgemälde der schönen jungen Frau, die mit zerschmettertem Kopf in einer Blutlache auf der Straße lag.
     
    Ungefähr eine Stunde später klingelte es bei Jessens an der Tür.
    Das kann nur Giselle sein, dachte Jana und riss die Tür auf. Sie wollte schon die Arme auseinanderreißen und Giselle umarmen, als sie sah, dass vor der Tür zwei Polizisten in Uniform standen, die ein so ernstes Gesicht machten, dass es ihr eiskalt den Rücken hinunterlief.
    »Frau Jessen?«, fragte einer der beiden mit einer tiefen, ruhigen Stimme.
    »Ja.«
    »Ich bin Polizeiobermeister Märten, Direktion zwei, Abschnitt siebenundzwanzig, und das ist mein Kollege Jesorsky. Dürfen wir reinkommen?« Er zeigte ihr seinen Ausweis. Jana warf keinen Blick darauf und öffnete die Tür.
    »Warum denn? Was ist denn los?«
    Die beiden Beamten nahmen ihre Mützen ab und betraten den Flur.
    Komisch, dachte Jana, kaum steht man der Polizei gegenüber, fallen einem alle Sünden ein. Vor zwei Wochen war sie in einer Baustelle geblitzt worden, weil sie dreißig Stundenkilometer zu schnell gefahren war, Geschwindigkeitsbegrenzungen auf der Stadtautobahn ignorierte sie regelmäßig, und die Knöllchen, die sie wegen Falschparkens bekam, warf sie, ohne viel nachzudenken, in den nächsten

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