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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Hause kommen, fühlst du dich wie neugeboren. Und heute Abend lassen wir es krachen. Unser Bosselverein macht ein Fest. Wird dir bestimmt gefallen.«
    Engelbert bezweifelte das. Also rückte der Abend im Sessel in weite Ferne.
    Zuerst dachte Engelbert, es wäre ein Schaf, das in der Ferne einsam auf dem Weg stand, aber als sie näher heranfuhren, sah er, dass ihnen eine Frau langsam entgegenkam. Sie trug einen langen schwarzen Rock und einen überweiten Pullover, was Engelbert für einen Spaziergang am Meer ungewöhnlich fand.
    Außerdem zog sie den linken Fuß etwas nach, was aber nur auff iel, wenn man darauf achtete.
    Henning bremste. Engelbert schätzte die Frau, die jetzt vor ihnen stand, auf Ende zwanzig. Sie hatte orangefarbenes Haar und eine sehr blasse, fast weiße Haut. Ihre Augen waren graugrün, woraufhin Engelbert vermutete, dass ihre Haarfarbe echt war.
    »Hallo, Nele«, sagte Henning. »Ich bin’s. Henning. Kennst du mich noch?«
    Nele nickte und lächelte eigentümlich. So wie man lächelt, wenn man in einem fremden Land auf der Straße etwas gefragt wird und kein einziges Wort versteht.
    »Ich bin wieder da, Nele. Bei meinen Eltern. Für ein paar Tage.«
    Nele lächelte wieder, noch breiter.
    »Wie geht es dir denn so, Nele?«
    »Oh, oh«, grinste sie. »Oh, oh, oh, la, la. Et geit uns wohl op unsre olen Dage.« Dabei drehte sie sich einmal um die eigene Achse.
    »Das ist ja prima! Das freut mich, Nele.«
    Nele tippte mit der Fingerspitze auf Engelberts Brust. »Wer ist das?«
    »Das ist mein Freund Engelbert. Ich wollte ihm mal meine alte Heimat zeigen.«
    Nele lachte. Dann wurde sie plötzlich schlagartig ernst und ging ohne ein Wort an den beiden vorbei.
    »Tschüss, Nele«, rief ihr Henning hinterher, aber Nele reagierte nicht, sondern wanderte mit ihrem schleppenden Schritt einfach weiter den Deichweg entlang.
    »Wer war das?«, fragte Engelbert.
    »Nele. Sie ist die Tochter von Bruno, dem Schmied. Seine einzige Tochter. Sie ist nicht ganz richtig im Kopf, aber er liebt sie abgöttisch.«
    »Lass uns nach Hause fahren«, bat Engelbert. »Genug Sport für heute, ich bin ziemlich kaputt.«
     
    Auf der Wiese direkt neben dem Pastorat waren die Festzeltkombinationen, lange Tische und Bänke, aufgebaut. Am Nachmittag hatte Wedemannssiel die Nachbargemeinde Scheudorf beim Bosseln haushoch geschlagen, Wedemannssiel hatte die Bosselkugeln auf dem Deichweg zwanzig Meter weiter gerollt als Scheudorf, und seit sieben Uhr saß man bei Bier, Korn und Kümmerling. Dazu gab es Aal-, Krabben-und Matjesbrötchen, das Stück für eine Mark fünfzig.
    Um acht kamen Henning und Engelbert dazu, und Henning wurde mit großem Hallo begrüßt.
    »Ich fass es nicht! Der Herr aus Berlin gibt sich die Ehre!«, brüllte Hauke. Sein Gesicht war hochrot, und Henning überlegte, ob es schon am Schnaps oder daran lag, dass er sich wirklich freute, Henning wiederzusehen. »Ja, wie geit dir dat denn so?« Dabei schlug er Henning auf die Schulter, dass er fast vornüber auf den Tisch fiel.
    »Gut, Hauke. Und dir?«
    »Alles klar. Weißt du doch. Darauf trinken wir einen.«
    Auch die übrigen wurden auf Henning aufmerksam. Henning ging reihum und umarmte die meisten, begrüßte hier und da jemanden mit Handschlag oder mit Schulterklopfen und stellte Engelbert vor.
    Schließlich setzten sie sich. Sekunden später standen zwei Biere vor ihnen, und Hauke drückte beiden ein Fläschchen Kümmerling in die Hand.
    Henning drehte sein Fläschchen auf.
    »Ich will das nicht«, murmelte Engelbert kaum hörbar. »Du weißt doch, dass ich überhaupt nichts vertrage. Ich verlier dann die Kontrolle, und das macht mir Angst.«
    »Jetzt stell dich nicht so an!«, zischte Henning. »Mach hier keinen Aufstand! Was glaubst du, was die von dir denken, wenn du nicht mal so’nen albernen Kümmerling trinkst! Iss ein paar Brötchen dazu, dann geht das!«
    Engelbert schwieg und machte gute Miene zum bösen Spiel. Wie alle schraubte er sein Fläschchen auf, klemmte es sich zwischen die Zähne und trank, allerdings ohne in den allgemeinen Schlachtruf »Nich lang schnacken – Kopf in’ Nacken!« einzustimmen.
    Nele saß schräg gegenüber neben ihrem Vater Bruno, der die klobigsten Hände hatte, die Engelbert je in seinem Leben gesehen hatte. Immer wieder musste er sie fasziniert anstarren, und dabei begegnete er auch zweimal Neles Blick, der ihn aber nicht zu meinen schien. Sie lächelte glücklich vor sich hin, ließ ihre Augen herumwandern und

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