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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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wünsche?«
    »Ich nehme nicht an, dass du nur deswegen angerufen hast.«
    »Nein.« Ein Motorrad knatterte direkt an ihm vorbei, und er musste eine Pause machen.
    »Jana, was ist es dir wert, wenn du nie wieder von mir hörst?«
    »Wie?«
    »Ich meine, was zahlst du mir, wenn ich für immer aus deinem Leben verschwinde?«
    »Das soll ich dir jetzt hier in fünf Minuten beantworten? Während du da irgendwo in einer dreckigen italienischen Gasse stehst und ins Telefon schreist? Du spinnst doch!« Sie beendete das Gespräch. So hatte es keinen Zweck.
    Er setzte sich auf die Stufen einer Kirche und schrieb ihr eine SMS.
    - Mein Angebot: fünfhunderttausend. Ich überschreibe dir Haus, Inventar, Auto und Wertpapiere. Du überweist mir das Geld, und ich bin weg. Was hältst du davon?
    Die Antwort kam prompt:
    - Zweihundertfünfzigtausend.
    Jonathan schnappte nach Luft. Das war unverschämt. Allein das Haus war ein Vielfaches wert. Die SMS flogen nur so hin und her.
    - Vierhundertfünfzigtausend.
    - Nein!!!
    - Vierhunderttausend.
    - Dreihundertfünfzig. Mein letztes Wort.
    - OK. Bitte tu mir den Gefallen und überweise mir gleich fünfhundert Euro. Meine Kreditkarte ist ungültig.
    - Schick mir deine Kontonummer.
    - Danke. Buon natale, Jana.
    - Du kannst mich mal.
    Jonathan schob das Handy in seine Hosentasche, schlenderte in Richtung Campo und hatte ein ungemein gutes Gefühl. Der erste Schritt war getan, mit Sofia ganz von vorn anfangen zu können.
    Es dämmerte bereits, als Riccardo nach Hause kam, denn beim Eisenwarenhändler hatte es länger gedauert, als er gedacht hatte. Im Laden war es brechend voll gewesen, weil die meisten die Feiertage dazu nutzten, dringende Reparaturen oder Renovierungsarbeiten in ihren Häusern zu erledigen, und sich nun die erforderlichen Materialien zusammenkauften. Riccardo wartete fast eine Dreiviertelstunde, bis er bedient wurde und seine geschärfte Motorsäge, ein geflicktes Schubkarrenrad und eine geschliffene Machete zurückbekam. Außerdem kaufte er einen Kanister Kettenöl, eine Schachtel Schrauben und Dichtungsringe. Vor ein paar Tagen hatte Jonathan ihm gesagt, in seiner Küche tropfe der Wasserhahn, und Riccardo hatte keine passenden Dichtungen im Magazin gefunden.
    Jetzt sah er, dass Jonathans Wagen nicht vor dem Haus stand, und beschloss, den Wasserhahn schnell selbst zu reparieren.
    Er klopfte ein paarmal, rief Jonathans Namen, obwohl er ziemlich sicher war, dass dieser nicht zu Hause war, und als er keine Antwort bekam, betrat er die kleine Wohnung, die nicht abgeschlossen war. Zum einen, weil auf La Passerella niemand je eine Tür abschloss, auch nachts nicht, zum anderen, weil dies auch gar nicht mehr möglich war, da Amanda den Schlüssel schon vor Jahren verloren oder verlegt hatte.
    Die Tür ließ er weit offen stehen, als er durchs Wohnzimmer in die Küche ging, und registrierte nur beiläufig, dass die gesamte Wohnung makellos aufgeräumt war, auch das Bett war ordentlich gemacht. Ungewöhnlich fand Riccardo, dass Jonathan ein Bild, das dem Bett gegenüberhing, mit einem Tuch verhängt hatte. Aber auch das interessierte ihn nicht sonderlich, und er begann den Wasserhahn abzuschrauben.
    Das Auswechseln der Dichtung dauerte keine fünf Minuten. Da er nun aber schon mal dabei war und eine ganze Schachtel voller Dichtungen in der Hand hielt, entschloss er sich, auch die Wasserhähne im Bad und in der Dusche zu kontrollieren.
    Als er die Badezimmertür öffnete, gab es – da Jonathan das Fenster im Bad offen gelassen hatte – einen so gewaltigen Luftzug, dass die Wohnungstür krachend zuschlug. Riccardo ignorierte es, kontrollierte die Hähne, die einwandfrei funktionierten, und verließ das Bad wieder.
    Der Schreck traf ihn so unvorbereitet, dass er zurücktaumelte, sich ans Herz fasste und schwer atmend an die Wand gelehnt stehen bleiben musste.
    Die Zugluft hatte das Tuch vom Bild geweht, das dem Bett gegenüberhing.
    Es war das Bild seiner Tochter. In Öl gemalt, so realistisch wie eine Fotografie. Ihre Haare, ihre makellose Haut, ihre charakteristischen Grübchen, ihr Lächeln. Und ihre Augen, die ihn direkt ansahen und bis ins Mark seiner Seele trafen.
    Sofias Porträt.
    So fieberhaft hatte Riccardo schon jahrelang nicht mehr nachgedacht. Wie konnte das sein?
    Er sah sich im Zimmer um. Nirgends eine Staffelei, Leinwand, Pinsel. Nicht das geringste Utensil, das darauf hindeutete, dass Jonathan Sofia gemalt hatte.
    Und Jonathan war erst knapp sechs Wochen hier.

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