Der Menschenraeuber
Pennermilieu?«
»Wann soll denn das gewesen sein?«, fragte Jana kühl.
»So um halb eins. Ich war bei einer Freundin, die wohnt am Hermannplatz. Auf dem Heimweg komme ich immer an der Hasenheide vorbei.«
»Halb eins?«, fragte Jana, »nee, um halb eins war Jonathan zu Hause. Und eine Fotosession macht er auch nicht. Da musst du dich ganz schön verguckt haben!«
»Na, da bin ich aber froh!« Aus Sandras Ton wurde deutlich, dass sie Jana kein Wort glaubte. »Ich hatte mir schon Sorgen gemacht.«
»Lieb von dir, dass du angerufen hast«, meinte Jana ebenso süßlich-verlogen, »aber ich muss jetzt runter. Die Stunde fängt gleich an.«
»Mach’s gut, meine Liebe«, erwiderte Sandra betont freundlich, »wir sehen uns dann Montag um elf.«
»Ja, Montag um elf.« Jana legte auf und zischte ihr ein wütendes »Zicke« hinterher.
Jonathan verließ gegen einundzwanzig Uhr schweigend das Haus.
Jana wartete bis Mitternacht, dann fuhr sie los.
Kurz hinter dem Hermannplatz parkte sie unter einer Kastanie, die jetzt im März noch kein Laub hatte. Jana hatte sich ihre wärmste Winterjacke angezogen, fröstelte aber trotzdem. Der Temperaturanzeiger im Auto hatte lediglich zwei Grad plus angezeigt. Es nieselte leicht.
Ihre rechte Hand umfasste in der Manteltasche ein Pfefferspray, ihr rechter Zeigefinger lag in der geriffelten Vertiefung, damit sie jederzeit lossprühen konnte. Diese Gegend hatte sie immer gefürchtet, selbst nachmittags um vier, wenn der Park bevölkert war.
Sie sah sich ängstlich um. Ihre Handtasche mit Kreditkarten und Papieren hatte sie vorsorglich zu Hause gelassen, ohne Ausweis und Führerschein von einer Polizeikontrolle erwischt zu werden war ihr als das geringere Risiko erschienen. Stattdessen hatte sie sich ein paar lose Scheine eingesteckt, die sie jedem, der auf die Idee kommen sollte, sie zu überfallen, widerstandslos in die Hand drücken wollte.
Zitternd ging Jana die Hasenheide entlang. Irgendwo im Park grölte eine Gruppe betrunkener Jugendlicher. Sie betete, dass die Jungs sie nicht bemerkten und sie nicht ins Visier nahmen.
In der linken Jackentasche hatte sie eine Taschenlampe, die sie aber nicht brauchte, die Straßenbeleuchtung war ausreichend.
Im Grunde wünschte sie sich ja, dass diese Giftspritze Sandra sich getäuscht hatte, jetzt hoffte sie jedoch, ihn bald zu finden, damit sie endlich aufhören konnte, hier nach ihm suchen zu müssen. Immer wieder kam es vor, dass Frauen in der Hasenheide vergewaltigt und getötet wurden. Sie bemühte sich, nicht daran zu denken, aber es gelang ihr nicht.
Jana war jetzt bestimmt schon zweihundert Meter vom Auto entfernt und fühlte sich mit jedem Schritt schutzloser. Sie blieb stehen und überlegte, ob sie nicht lieber zum Auto zurückkehren und am Park entlangfahren sollte, denn wenn alles stimmte, was Sandra gesagt hatte, musste die Pennergruppe gestern an einem Platz gesessen haben, der von der Straße aus einsehbar war.
Gerade als sie sich entschloss, zum Auto zurückzulaufen, hörte sie Stimmen und ging weiter.
Unmittelbar hinter einem Kinderspielplatz sah sie ihn. Zwar nur von hinten, aber sie erkannte ihn sofort.
Sie konnte es kaum fassen.
Um sich Mut zu machen, atmete sie einmal tief durch und ging dann auf die Gruppe zu. Drei Männer glotzten sie aus glasigen, blutunterlaufenen Augen an. Jonathan saß im Schneidersitz auf der eiskalten Erde und trank aus einer Schnapsf lasche. Die Kälte schien er nicht zu spüren.
Als sie seinen Hinterkopf berührte, zuckte er zusammen, drehte sich blitzschnell um und starrte sie an. Im ersten Moment schien er sie nicht zu erkennen, dann wich der Schreck aus seinen Augen, er drehte sich kommentarlos wieder zurück und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche.
Jana brach es fast das Herz, ihn so zu sehen.
»Bitte, Jonathan, bitte, komm mit nach Hause!«
Einer der Penner kicherte.
Jonathan schwieg.
»Bitte!« Sie flehte ihn an, und wenn es noch einen winzigen Funken Liebe zwischen ihnen gab, würde er mitkommen.
Jana stand da und hatte das Gefühl, dass endlose Minuten vergingen.
Schließlich erhob sich Jonathan mühsam – seine Glieder waren kalt, er konnte sich kaum bewegen – und nahm seine Decke. Eine Plastiktüte ließ er liegen. Jana sah nicht, was noch darin war, die halbvolle Schnapsflasche reichte er in die Runde.
»Macht’s gut«, sagte er und tippte sich zum Gruß an eine imaginäre Mütze. »Bis denn.«
Niemand antwortete, denn keiner rechnete damit, dass
Weitere Kostenlose Bücher