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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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eigentlich, was du bist? Eine eiskalte Diva, die heilfroh ist, dass sie weg ist! Du bist ja gar nicht in der Lage, um sie zu trauern, du gehst einfach zum Alltag über, als wäre nichts gewesen. Du betreibst deine beschissene Tanzerei, als würde sie noch immer oben in ihrem Zimmer sitzen und malen!«
    Es war so viel Hass in seinen Augen, dass Jana erschrak. Und das, was er ihr vorwarf, machte sie wütend.
    »Wie bitte? Glaubst du, es fällt mir leicht, zum Tagesgeschäft überzugehen, mich abzurackern und das Geld für uns zu verdienen, während du dich gehenlässt und dich ganz deinem Selbstmitleid hingibst? Wo wären wir denn, wenn ich nicht weiterarbeiten würde? Hast du in den letzten Monaten auch nur einen einzigen Pfennig verdient? Ich trauere genauso um sie wie du, aber ich lass mich nicht gehen, sondern halte den Laden hier aufrecht, damit uns wenigstens noch etwas bleibt. Wenigstens das Haus und ein bisschen Würde und etwas Alltag. Alltag ist so verdammt wichtig, wenn das ganze Leben aus den Fugen gerät.«
    »Dein Leben ist aus den Fugen? Wo denn? Und du trauerst? Wie denn?«, schrie Jonathan, schlug sich auf die Schenkel und lachte schrill. »Das, was du hier veranstaltest, nennst du trauern? Nicht eine Sekunde hast du um sie getrauert! Nicht eine! Denn endlich spielst du wieder die erste Geige! Endlich kannst du wieder in den Spiegel gucken und dir sagen, du bist die Schönste im Land! Oder? Ist es nicht so? Noch über ihren Tod hinaus nimmst du ihr doch übel, dass du schwanger wurdest und sie dein Primaballerina-Gehopse beendet hat!«
    Jana war fassungslos über so viel Bösartigkeit.
    »Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden!«
    Jonathan sagte nichts mehr. Aber es war der erste Abend, an dem er das Haus verließ.
    Stunden später saß Jana zitternd im Sessel und rauchte eine Zigarette nach der anderen. Bitte, komm, flehte sie in Gedanken, bitte, komm nach Hause! Ich brauch dich, ich will dich doch. Wir haben doch nur noch uns. Wenn du weggehst, ist alles kaputt.
    Und vor sich sah sie den schwankenden Jonathan mit viel zu langen, ungepflegten Haaren, seine blutunterlaufenen Augen und seinen wirren, unsicheren Blick. Wie er durch die Stadt stolperte, volltrunken und orientierungslos, wie er sich schließlich über ein Geländer beugte, um sich zu übergeben, den Halt verlor und hinunterstürzte. Auf eine Autobahn, Bahngleise oder in einen Kanal.
    Nachts um drei kam er und konnte kaum noch gehen.
    »Wo warst du?«, fragte sie und weinte vor Glück, dass er wieder da war.
    »Überall und nirgends«, sagte er unwillig. »Ist doch auch egal.«
    In den kommenden Wochen blieb er immer häufiger und immer länger weg. Manchmal hörte sie drei Tage nichts von ihm.
    »Wo warst du?«, fragte sie jedes Mal, wenn er kam.
    Er machte sich noch nicht einmal mehr die Mühe, »nirgends« zu sagen.
     
    Der Anruf kam an einem Donnerstag.
    »Hallo, Jana, hier ist Sandra.«
    »Hi, Sandra.« Janas Begeisterung, von Sandra zu hören, hielt sich in Grenzen, normalerweise rief sie nur an, wenn sie etwas brauchte, einen Termin absagen wollte oder über irgendjemanden stänkern konnte. Sandra belegte seit drei Jahren einen Stepptanzkurs und hatte die Angewohnheit, sich leidenschaftlich in alles einzumischen, was sie nichts anging.
    »Wie geht’s?«, fragte sie zuckersüß.
    »Es geht.«
    »Was heißt: es geht?«
    »Das heißt, dass es mir einigermaßen gutgeht, Sandra. Aber warum rufst du an? Kannst du am Montag nicht?«
    »Doch, doch. Nein, du, ich rufe an, weil ich irgendwie irritiert bin. Kann es sein, dass ich Jonathan gestern Nacht an der Hasenheide gesehen habe? Weißt du, da oben diese üble Ecke in Höhe Jahnstraße. Ich glaube, er war es, aber ganz sicher bin ich mir natürlich nicht.«
    Jana durchfuhr es eiskalt. Gestern Nacht war Jonathan wie so oft nicht zu Hause gewesen, er war erst heute Vormittag um halb elf erschienen und ohne ein weiteres Wort in Giselles Zimmer und im Bett verschwunden.
    »Wie kommst du denn auf die Idee?« Jana wusste, dass die Frage blödsinnig war und ihre Verunsicherung deutlich machte, aber ihr fiel beim besten Willen nichts Besseres ein.
    »Er saß da mit ein paar Pennern. Die haben fröhlich den Fusel kreisen lassen. Und ich muss dir sagen, er sah zum Fürchten aus. Ich hab mich bestimmt nicht getäuscht, Jana.« Sie machte eine bedeutungsschwere Pause, als wolle sie das, was sie gerade gesagt hatte, noch unterstreichen, bevor sie fragte:
    »Macht er da’ne Fotosession im

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