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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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das war nun schon über sieben Wochen her.
    Auf der Piazza Giacomo Matteotti standen sie an einer Ampel. Direkt vor dem Zebrastreifen hielt ein schwarzer Fiat. Der Fahrer war Anfang zwanzig, hatte das Seitenfenster offen, als wäre Sommer, und rauchte. Seine Haare waren stark gegelt, streng aus dem Gesicht gekämmt, und er grinste vor sich hin.
    Aus dem Autoradio schallte laut Bocellis warme Stimme: »Time to say goodbye.«
    Jonathan wurde heiß. Er zog Sofia fest an sich und hielt sie umklammert, als stünden sie am Abgrund. Sein Atem ging stoßweise, ein paar Sekunden nur, und dann explodierte er. Er ließ Sofia los und sprang vor. Mit voller Kraft krachte seine Faust auf die Motorhaube des Fiat.
    »Mach die Musik aus!«, brüllte er wie ein verwundeter Stier und schlug erneut zu.
    »Spinnst du total?« Der junge Mann war aus seinem Auto gesprungen und sah, dass er von Jonathans Schlägen zwei Beulen auf der Kühlerhaube hatte. Er ballte die Fäuste.
    Die Musik schallte immer noch in voller Lautstärke aus dem Wagen.
    »Schalte das aus!«, schrie Jonathan erneut. »Mach dein Scheißradio aus!« Sein Gesicht war verzerrt, und er hielt sich den Kopf, als habe er unerträgliche Migräne.
    Der junge Mann ging auf ihn zu und gab ihm einen Stoß. Schubste ihn von sich weg. »Hey, bist du noch ganz dicht?«
    Gehetzt sah sich Jonathan nach Sofia um, die immer noch an der Ampel stand und nicht verstehen konnte, was sich hier gerade abspielte.
    Jonathan beachtete den wütenden Autofahrer überhaupt nicht, stürzte zu ihr, nahm sie auf den Arm und rannte mit ihr wie ein gehetztes Tier in entgegengesetzter Richtung davon, hinein in die engen Gassen, aus denen sie gerade gekommen waren.
    Der junge Mann sah ihnen fassungslos hinterher. Einen Moment überlegte er, ob es etwas bringen würde, Jonathan zu verfolgen und zu verprügeln, aber dann ließ er es bleiben, setzte sich in seinen Wagen und fuhr weiter.
    Erst nach fünfhundert Metern blieb Jonathan keuchend und nach Luft ringend stehen und ließ Sofia runter.
    »Jonathan! Was ist los? Was hast du? Was war da los an der Ampel?«
    »Ich kann es nicht hören!«, schluchzte er. »Ich kann nicht! Ich kann es einfach nicht!« Ein paar Passanten wurden aufmerksam und starrten die beiden an.
    Jonathan grub sein Gesicht in ihr Haar.
    »Es ist diese unerträgliche Angst, dich zu verlieren, Sofia. Diese unerträgliche Angst.« Dann weinte er hemmungslos.
    Sofia strich ihm schweigend übers Haar.
    Erst Minuten später gingen sie langsam, Hand in Hand, zurück zum Auto.
    Der Schneefall wurde stärker.
     
    Jetzt im Dunkeln war fast niemand mehr unterwegs. In den Schnee war eine einzelne Spur gefahren, als wäre auf der vielbefahrenen Straße von Siena nach Arezzo nur ein Wagen unterwegs gewesen. Jonathan fuhr genau in dieser Spur, um nicht ins Schleudern zu geraten.
    Einige Wagen waren in den Graben gerutscht und von den Fahrern verlassen worden, und der Schnee glitzerte im Licht der Laternen, als sie San Gusmè erreichten, wo die Schotterstraße begann.
    »Fahr bitte vorsichtig«, flehte Sofia, denn jedes noch so winzige Schlingern, Rutschen oder Ausbrechen des Wagens spürte sie noch intensiver und deutlicher als jeder andere.
    »Es wird nicht einfach sein, den Berg hochzukommen«, murmelte Jonathan, »wir haben weder Winterreifen noch Schneeketten.«
    Kurz vor Monte Benichi hingen sie das erste Mal in der Steigung fest, und die Räder drehten durch. Jonathan ließ sich bis zu einem ebenen Streckenabschnitt zurückrollen und versuchte es mit viel Schwung noch einmal. Diesmal kamen sie mühsam bis ins Dorf.
    Jetzt begann der Weg durch den Wald. Jonathan fuhr so langsam, dass der Tacho die Geschwindigkeit gar nicht mehr anzeigte. Auf den abschüssigen Strecken war es unmöglich, den Wagen zu bremsen oder zu dirigieren, er rutschte einfach ohne Kontrolle bergab. Zum ersten Mal war Jonathan froh, dass Sofia nicht sah, was mit dem Auto passierte.
    Der Schnee fiel jetzt so dicht, dass Jonathan Straße und Luft kaum noch unterscheiden konnte. Er bewegte sich fast orientierungslos durch das Schneegestöber und versuchte sich zu erinnern, wo die gefährliche Stelle war, vor der er sich schon die ganze Zeit fürchtete. Die Straße ging dort steil bergab und machte eine scharfe Rechtskurve. Wenn der Wagen ungebremst einfach weiter geradeaus rutschte, würden sie in die Schlucht stürzen.
    Jonathan brach der Schweiß aus, und Sofia spürte, dass ihm die Angst im Nacken saß. Obwohl es warm im Auto

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