Der Menschenraeuber
war wieder da, die Angelegenheit war für ihn beendet.
Amanda trank. Sie registrierte Jonathan und Sofia gar nicht mehr, sondern hielt für sich und ihr Glas einen einsamen Monolog, an den sie sich morgen nicht mehr erinnern würde.
»Sofia«, brummte sie, »mein Engelchen, mein Schatz, mein Sonnenschein. Was soll ich bloß machen, dass du nicht wegläufst? Ich kann dich doch nicht anbinden. Oder einsperren. Ich kann doch nicht den ganzen Tag auf dich aufpassen. Warum machst du deiner Mutter nur immer solchen Kummer? Ich sterbe hier tausend Tode, und du amüsierst dich! Das ist nicht gut, hörst du? Hast du mich verstanden? Hör mir mal gut zu, meine Liebe: Es geht hier nicht darum, was du willst. Nicht jeder tanzt hier nach deiner Pfeife, ist das klar? Hier wohnen auch noch andere.« Amanda verstummte, aber nur um neuen Anlauf zu nehmen.
»Lass uns gehen«, flüsterte Sofia, »das geht jetzt noch ewig so weiter, und ich kann es nicht ertragen. – Gute Nacht, Mama«, sagte sie laut. »Schlaf gut. Bis morgen früh.«
Jonathan und Sofia verließen leise die Küche. Amanda merkte es nicht.
»Ich glaube, ich werde mich umbringen«, redete sie weiter. »Ja, das werde ich tun. Das ist gut. Mich kann ja sowieso niemand leiden. Niemand. Ich bin Luft für euch. Und lästig. Pfui Teufel. Weg mit Amanda. Dann geht es euch allen besser. Niemand mehr da, der stört. Porcamiseria.«
Ihr Kopf wurde schwer. Sie legte ihn auf den Unterarm und weinte sich in den Schlaf.
Es war nicht wie ein Déjà-vu-Erlebnis, sondern wie ein immer wiederkehrender Traum. Wo bin ich?, dachte er, und die Dunkelheit war so undurchdringlich wie eine Wand.
»Sofia? Bist du da?«
»Ja«, hauchte sie. »Ja, ich bin da.«
Er schaltete die Nachttischlampe an. Im diffusen gelblichen Licht sah er sie. Sie stand vor dem Bett und trug ihren neuen Hosenanzug.
Jetzt war er wach, oder zumindest glaubte er wach zu sein.
Sie sagte kein Wort, lächelte nur und begann langsam ihr Jackett aufzuknöpfen. Darunter war sie nackt.
Sie zog es aus.
Nein, dachte er, nein, bitte nicht.
Dann zog sie am Reißverschluss und stieg langsam und lasziv wie eine Tänzerin aus der Hose. Vollkommen nackt kam sie auf ihn zu. Er blinzelte und sein Pulsschlag erhöhte sich. Es war, als träte sie aus dem Bild heraus.
»Jetzt bin ich deine Frau«, sagte sie.
Jonathan breitete die Arme aus, und sie legte sich zu ihm. Er zog sie an sich, strich sanft über ihren makellosen, schlanken, schönen Körper und erwiderte den Blick auf dem Gemälde.
Nein.
Sein Verlangen war unbeschreiblich, und sie spürte es, berührte ihn, und er sehnte sich danach, sie zu liebkosen und zu schmecken, in sie einzudringen und sie zu besitzen, aber er wandte sich ab und drehte sich zur Wand.
»Was ist? Was hast du?«, fragte sie und fuhr mit der Zunge über seinen Nacken.
»Es geht nicht, Sofia. Bitte lass. Ich liebe dich mehr als mein Leben, aber ich kann nicht.«
Sie schwieg. Enttäuscht und verletzt.
»Ich werde immer bei dir bleiben, ich werde alles für dich tun, zweifle nicht an mir, aber frag mich nie wieder.«
Sofia fühlte einen stechenden Schmerz im ganzen Körper, und alles, was bis vor einigen Minuten warm und lebendig gewesen war, war jetzt kalt und tot.
SECHZEHN
Amanda schreckte auf. Da war etwas. Ein Geräusch. Ganz eindeutig.
Sie lag wie erstarrt. Sogar das Denken tat ihr im Kopf weh. Ihre Zunge klebte dick und trocken am Gaumen, ihre Blase drückte, an Weiterschlafen war überhaupt nicht zu denken.
Stöhnend rollte sie sich aus dem Bett, schaltete das Licht an, zog ihre Filzpantoffeln über und schlurfte zur Tür. Sie zitterte am ganzen Körper und wusste nicht, ob es am Alkohol lag oder daran, dass sie sich innerlich darauf vorbereitete, in wenigen Sekunden einem Einbrecher gegenüberzustehen.
Auch im Flur knipste sie die Deckenbeleuchtung an und sah, dass in diesem Moment Sofia aus Jonathans Wohnung kam.
»Was machst du denn hier?«, zischte sie, und Sofia zuckte zusammen. Sie legte einen Finger auf ihre Lippen, damit ihre Mutter doch bitte still sein möge.
»Wo kommst du her?«, bohrte Amanda weiter. »Von diesem Jonathan?«
Sofia nickte.
»Was soll das?«
»Bitte, lass uns morgen darüber reden, ja?«, flüsterte Sofia. »Buonanotte, Mama.«
Amanda machte zwei Schritte und versperrte Sofia den Weg. Sofia prallte auf den massigen Leib ihrer Mutter, der nach bitter-saurem, halb verdautem Alkohol roch und nach einem schon viele Male durchgeschwitzten
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