Der Menschenraeuber
Schlüsselbein, knetete seine Brustmuskeln, umkreiste seine Brustwarzen, verweilte auf seinem Bauch. Sie ertastete die Länge seiner Arme, die Form seiner Finger und Fingernägel.
»Jetzt sehe ich dich zum ersten Mal«, hauchte sie, »jetzt weiß ich, wie du aussiehst.«
Er wollte sie genauso kennenlernen, wollte sie ganz und nackt sehen und schaltete das Licht an.
Sie nahm sich Zeit, wanderte seinen Körper weiter hinab, bis sie sich schließlich auf ihn setzte und auf ihm tanzte.
Er hörte endlich auf zu denken und schloss die Augen, gab sich ganz ihrem Rhythmus, ihrer Kraft und ihrem Gefühl hin. Sie schnurrte wie ein Käfer im Sand, dann stöhnte sie, und er sah sie wieder an. Ihm schwanden die Sinne, und während es ihn innerlich zerriss und die Lust ihn überschwemmte, so dass er sich nicht mehr halten konnte, verschwamm ihr Gesicht mit dem des Bildes direkt hinter ihr. Es floss ineinander, wurde zu einem, und als er schrie, war es wie der Geburtsschrei zu einem neuen, schon verloren geglaubten Leben.
VIERZEHN
Carabiniere Donato Neri ging noch bei Dunkelheit aus dem Haus. Die Luft war kalt und feucht, und obwohl es bis zu seinem Wagen nur wenige Schritte waren, schloss Neri den Reißverschluss seines Anoraks bis hoch zum Kinn. In einer halben Stunde würde die Sonne aufgehen, und er war auf der kleinen Lichtung zwischen Vergaie und Duddova mit Riccardo verabredet.
Die Jagd war das Einzige, was ihn an seinem neuen Leben in Ambra wirklich freute. Er liebte es, am frühen Morgen durch den Wald zu ziehen, mitzuerleben, wie die Natur langsam erwachte, und dann auf Hasen, Rehe oder Fasane zu warten, die sich mit der Dämmerung aus ihren Verstecken wagten. Manchmal dauerte es nur Minuten, manchmal Stunden, und gelegentlich warteten sie sogar vollkommen vergebens.
Riccardo war ein angenehmer Gefährte. Was Neri im Kurs, um den Jagdschein zu machen, nicht erfahren hatte, sagte ihm Riccardo. Er kannte jedes Versteck, jede Höhle, jede Lichtung, die Gewohnheiten der Tiere und konnte Spuren und Losungen deuten. Er war ein schweigsamer Mensch, und auch wenn sie eine Stunde nebeneinander hergingen ohne zu reden, wurde es nie anstrengend oder belastend.
Riccardo war einer der wenigen, der wusste, wie sehr Neri darunter litt, dass er auf der Karriereleiter zurückgestuft und schließlich in Ambra gelandet war.
Neri war aus Rom zuerst nach Montevarchi strafversetzt worden, weil er im Mordfall eines kleinen Mädchens einen gravierenden Fehler gemacht hatte. In Montevarchi bekam er eine zweite Chance, als in einem einsamen Haus im Wald eine Frauenleiche entdeckt wurde. Er ermittelte als leitender Kommissar, verhaftete aber den Falschen als Mörder, und weitere Morde geschahen. Daraufhin wurde er nach Ambra weggelobt, der denkbar kleinsten Carabinieri-Station überhaupt. Hier geschahen normalerweise nur Bagatelldelikte, aber als er es mit einer Mörderin zu tun bekam, die ihren Gatten im Garten begrub und ihn anschließend als vermisst meldete, versagte er erneut. Doch diesmal hatte es für ihn keine beruflichen Konsequenzen, er konnte nicht mehr tiefer fallen.
Seine Frau Gabriella, eine schöne und stolze Römerin, die das Leben in ihrer Stadt über alles liebte und vermisste, konnte sich nicht damit abfinden, in einer Kleinstadt »lebendig begraben« zu sein, wie sie es nannte. Unter Gabriellas Unzufriedenheit und Neris anhaltender Erfolglosigkeit litt die Ehe, und so waren die Ausflüge in den Wald für Neri die einzigen wirklich friedlichen, glücklichen Stunden.
An diesem Morgen jedoch war Riccardo anders als sonst. Er wirkte fahrig und nervös, irgendetwas lag ihm auf der Seele, das spürte Neri sofort. Als sie zu ihrem Hochsitz oberhalb von Vergaie gingen, sprach Neri ihn an.
»Was ist los, Riccardo? Hast du was?«
»Hm.« Selbst im fahlen Licht der frühen Dämmerung konnte Neri sehen, dass Riccardo die Augenbrauen zusammenschob und sich eine scharfe senkrechte Falte auf seiner Stirn bildete.
»Wenn ich dir helfen kann – dann sag’s mir. Du weißt, ich kann’ne ganze Menge …«
»Ich weiß«, unterbrach ihn Riccardo, »es ist nur, tja, wie soll ich sagen, es gibt da etwas, das ich mir nicht erklären kann, und das macht mich krank. Ich muss Tag und Nacht daran denken.«
Neri wurde immer neugieriger. »Vielleicht kann ich es erklären, wenn ich weiß, worum’s geht.«
Riccardo schwieg. Offensichtlich kämpfte er mit sich, ob er Neri die Geschichte erzählen sollte oder nicht. Aber jetzt hatte er sich
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