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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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von nun an nie wieder in die Augen blicken zu können.
     
    Am nächsten Tag stand Amanda um zwölf auf und kam um halb eins in die Küche. Sie war verkatert wie immer, aber insgesamt ganz ruhig.
    »Buongiorno«, grunzte sie, als sie Riccardo am Kühlschrank stehen sah, wo er nach einer Salami für seine Mittagspause suchte.
    »Wie geht’s? Alles klar?«, fragte sie desinteressiert.
    »Es geht. – Und du? Wie hast du geschlafen?«
    »Wie eine Tote. Wieso?«
    »Nur so.«
    »Mach mir mal Kaffee, Riccardo, ich hab Kopfschmerzen und muss andauernd aufs Klo.«
    Riccardo kochte den Kaffee und sah sie an. Sie sah so verschwollen und zerstört aus wie immer. »Habt ihr gestern Abend noch lange gemacht?«
    Amanda zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Wahrscheinlich. Jedenfalls weiß ich nicht mehr, wann und wie ich ins Bett gekommen bin. Aber is ja auch egal.«
    Sie hatte also einen Filmriss. Wie so oft. Oder sie sagte es nur. Er würde wohl nie erfahren, ob sie wusste, was gestern Nacht geschehen war, oder nicht. Ihr Körper hatte funktioniert, aber ihr Verstand hatte sich vollkommen ausgeschaltet. Das war ja beinah gnädig. Sowohl für sie als auch für ihn.
    »Du säufst zu viel, Amanda. Viel zu viel. Auf die Dauer säufst du dir den Verstand aus dem Kopf.«
    Amanda verdrehte die Augen. »Ja, ja. Blablabla. Außerdem reisen die Jungs heute ab. Du kannst dich also abregen, ab heute bin ich wieder ganz brav!« Sie sagte es mit einem starken ironischen Unterton, als könne sie ihn damit ärgern, aber Riccardo überlegte nur, ob sie es wirklich nur auf ihren Alkoholkonsum bezog.
    Amanda nahm sich zwei Sprudeltabletten Aspirin aus der untersten Schublade des Küchenschrankes, löste sie in Wasser auf und trank das Glas in einem Zug leer.
    »Mach, was du willst«, sagte Riccardo zu Amanda und sah aus dem Fenster. Noch nie war ihm bewusst geworden, wie schön und erhaben La Passerella im Schnee war. »Du kannst jetzt hier einen riesigen Aufstand anzetteln – du kannst es auch bleiben lassen. Die Hochzeit interessiert mich nicht. Wenn sie stattfindet, ist es gut, wenn nicht, auch.«
    »Was interessiert dich überhaupt?«, fauchte Amanda.
    »Dass die Sonne aufgeht, Brot im Haus ist und du deinen Mund hältst«, konterte er und sah mit Genugtuung, dass es ihr die Sprache verschlug und sie nach Luft schnappte.
    So wütend war Amanda schon lange nicht mehr gewesen. Riccardo war eine Last und wenn es wirklich mal Probleme gab, überhaupt keine Hilfe. Also musste sie die Sache allein angehen.
     
    Zwei Monate später saß Jonathan in einem Flugzeug nach Berlin. Amanda hatte einfach keine Ruhe gegeben. Jeden Morgen ging das Gezeter wieder los, bis Jonathan schließlich einer baldigen Hochzeit zugestimmt hatte. Als Amanda dann jedoch erfuhr, dass alles nicht ganz so schnell gehen konnte, wie sie sich das vorstellte, da Jonathan in Deutschland noch gar nicht geschieden war, explodierte sie von neuem.
    »Das wird ja immer schöner!«, kreischte sie und fuhr Sofia an: »Du lässt dich mit einem verheirateten Mann ein? Das ist das Letzte!« Sie sank auf einen Stuhl. »Ich möchte nicht wissen, wie sich die Leute im Dorf schon das Maul zerreißen!«
    Sofia schwieg, hatte aber jeden Morgen verweinte Augen.
    Jonathan telefonierte fast täglich mit Jana.
    »Ich weiß nicht, warum du es so verdammt eilig hast?«, fragte sie genervt. »Was um Himmels willen ist denn passiert?«
    »Das kann ich dir am Telefon schlecht erklären.«
    »Geht es um eine andere Frau? Ist sie schwanger?«
    »Nein. Es ist alles anders. Nicht so, wie du denkst.«
    Jana pustete verächtlich ins Telefon. »Deine Geheimniskrämerei macht einen ganz verrückt.«
    »Bitte, Jana, ruf Dr. Bremer an und sag ihm, er soll uns helfen, bei Gericht so schnell wie möglich einen Termin zu bekommen, wir sind uns ja eigentlich in allen Punkten einig. Und dann komme ich nach Berlin.«
    Jana seufzte. »Okay. Ich tue, was ich kann. Wenn ich einen Termin habe, melde ich mich.«
    Und nun saß er im Flugzeug und wusste, dass er morgen nach dem Scheidungstermin sein altes Leben endgültig beenden und hinter sich lassen würde. Und dieser Gedanke gefiel ihm.
    Als er dann am späten Nachmittag vor dem Haus stand, das ihm schon nicht mehr gehörte, weil Jana ihn ausbezahlt hatte, wunderte er sich, dass sich gar nichts verändert hatte. Der Garten sah so aus, wie er jeden März ausgesehen hatte. Die Bäume waren noch kahl, und auch im vergangenen Herbst war der Apfelbaum nicht beschnitten worden.

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