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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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etwas zu essen. Schon gar nicht, wenn Amanda es ihm befahl. Er stützte den Kopf auf die Hand und sah sie mit müden Augen an.
    »Es muss ja mindestens ein bevorstehender Weltuntergang sein, wenn du um diese Zeit schon redest.«
    »Pass auf, was du sagst, mein Freund.«
    Riccardo verstummte. Dann stand er auf und kochte sich seinen Kaffee.
    »Sofia und Jonathan haben was miteinander. Wusstest du das?«
    Riccardo schüttelte den Kopf.
    »Ja und?«, fragte Riccardo genervt nach einer längeren Pause. »Deswegen machst du hier die Pferde scheu?«
    Sofia hielt es nicht mehr aus. Sie kam sich vor wie ein Schulkind, das vor der Lehrerversammlung erscheinen muss, weil darüber entschieden werden soll, ob es von der Schule fliegt oder nicht, und verließ die Küche. Amanda störte sich nicht daran, es war ohnehin einfacher, mit Riccardo allein zu reden, und das Ergebnis würde Sofia noch früh genug erfahren.
    »Sie schläft mit diesem Kerl. Diesem Fremden, von dem wir nichts, aber auch gar nichts wissen. Und das geht nicht, finde ich.«
    »Sie ist alt genug. Und viel Spaß hat sie in ihrem Leben noch nicht gehabt. Also lass ihn ihr gefälligst und halt dich da raus.«
    »Was sollen die Leute denken?«
    »Kein Mensch weiß oder sieht, was auf La Passerella geschieht. Und außerdem kann es uns egal sein, was die Leute denken.«
    »Mir ist es aber nicht egal!«
    »Amanda, was soll das?« Jetzt wurde Riccardo heftiger. »Du gehst nur ins Dorf, wenn du zum Zahnarzt oder zur Dottoressa musst. Du lässt dich auf keinem Dorffest blicken, du gehst nicht in die Kirche, nicht in die Bar, zum Bäcker oder zum Alimentari. Für die Leute existierst du gar nicht mehr! Amanda – das war einmal. Und da kratzt es dich, wer wann was und wo redet? Erzähl mir doch nichts, Amanda!«
    »Die beiden können hier nicht in wilder Ehe leben, Riccardo. Das wirst du doch einsehen!«
    »Ich sehe gar nichts ein«, brummte er leise und wurde den Gedanken an das Bild nicht los.
    »Er muss sie heiraten, und dann ist der Fall erledigt. Entweder er tut es, oder er fährt wieder. So einfach ist das.« Es war erstaunlich, aber bis jetzt hatte Amanda noch keinen Bissen gegessen.
    »Auf der einen Seite beklagst du dich, dass wir nichts über ihn wissen, aber dann willst du auf der anderen Seite gleich, dass sie ihn heiratet! Lass es doch um Himmels willen so, wie es ist! Sie ist glücklich. Und dann kann es uns auch egal sein, wo er herkommt und was mit ihm los ist.«
    »Kommt nicht infrage.« Amanda presste die Lippen aufeinander und verschränkte die Arme vor ihrer gewaltigen Brust, und Riccardo wusste, dass mit ihr jetzt kaum noch zu diskutieren war. Was sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, würde sie auch durchsetzen. Und ihm war völlig klar, dass es hier nicht um die Moral ging. Das war nur ein vorgeschobener Vorwand, Sofia endlich unter die Haube zu bringen.
    Sie schläft mit diesem Kerl. Und das geht nicht, finde ich. So etwas aus Amandas Mund war mehr als absurd. Am liebsten hätte Riccardo laut gelacht. Amanda. Gerade Amanda. Nie in seinem Leben würde er vergessen, was vor drei Jahren auf La Passerella passiert war.
     
    In jenem Jahr war es auch Ende September noch hochsommerlich warm. Amanda und Riccardo hatten drei Gäste in der großen Wohnung, Motocrossfahrer aus Holland. Folke, Mats und Enrik waren um die fünfundzwanzig, konnten vor Kraft nicht laufen, hatten Unterarme so dick wie der Bauch einer Anakonda, wenn sie ein Kaninchen verschlungen hat, und einen Händedruck wie ein Schraubstock. Sie verstanden und sprachen kein Wort Italienisch, bretterten den ganzen Tag auf den Wald-, Berg-und Natursteinstraßen durch die Gegend, machten sich zum Abendessen fette Knackwürste warm, saßen anschließend mit Amanda in der Küche und leerten etliche Flaschen Rotwein.
    Einen Tag vor ihrer Abreise hatte Amanda für die drei ihre legendäre Nudelpfanne gekocht, und die vier tranken bereits seit Stunden. Niemand zählte mehr die Rotweinflaschen, die Enrik öffnete. Um halb elf verabschiedete sich Riccardo und ging ins Bett. Er musste jeden Morgen um fünf Uhr dreißig aufstehen und brauchte seinen Schlaf, weil es zu gefährlich war, wenn er müde und unkonzentriert mit seinem Raupenfahrzeug auf den steilen Hängen und schmalen Terrassen der Olivenhaine arbeitete. Er wusste auch nicht, was er in der Küche noch verloren hatte. Amanda lallte bereits, und von den grölenden und lachenden Motorradfahrern verstand er ohnehin kein Wort.
    Gegen Mitternacht

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