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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Haus begegnet, Riccardo schien in der absoluten Einsamkeit zu wohnen.
    Wunderbar, dachte Jonathan, genauso habe ich es mir vorgestellt.
    Auf den letzten zweihundert Metern musste selbst Riccardo langsam fahren, so steinig und holprig war der Weg, aber dann tauchte der Schein einer Laterne auf, und kurz darauf sah er das Haus. Aus den Fenstern des oberen Stockwerks drang warmes Licht, in einem kleinen Fenster neben dem Portico leuchtete eine Kerze neben einer Madonnenfigur.
    »Un attimo«, sagte Riccardo und stieg aus. »Chiamo mia figlia. Può parlare tedesco.« – Einen Moment, ich rufe meine Tochter. Sie spricht Deutsch.
    Jonathan sah sich um. Das Haus war groß. Sehr groß. Wahrscheinlich ein ehemaliger Hof, in dem früher mehrere Generationen samt der Tiere unter einem Dach gewohnt hatten. Er konnte sich gut vorstellen, dass in diesem typisch toskanischen Bauernhaus eine oder mehrere Ferienwohnungen ausgebaut worden waren.
    Jonathan sah still in die dunkle Nacht. Das ist hier sicher einer der höchsten Punkte dieser Gegend, überlegte er, am Tag muss der Panoramablick einmalig sein. Jetzt konnte er nur vereinzelte Lichtpunkte in der dunklen Weite ausmachen, wo einsame Podere oder winzige Dörfer auf den Hügeln lagen, in der Ferne blinkten die Lichter einer größeren Stadt. Vielleicht Siena, dachte Jonathan, nein, da möchte ich jetzt nicht sein.
    In diesem Moment öffnete sich oben die Tür, und eine junge Frau betrat den unbeleuchteten Portico, den überdachten Eingangsbereich im ersten Stock am Ende der toskanischen Treppe. Im Dunkeln kam sie die Treppe herunter. Auch auf der Terrasse brannte kein Licht.
    Langsam ging sie auf Jonathan zu, und er konnte in der Dunkelheit ihre Gestalt nur schemenhaft erkennen.
    Sie kam näher und ging fast an ihm vorbei.
    »Buonasera«, sagte er leise. Sie zuckte zusammen und wandte sich ihm zu.
    »Buonasera. Ich bin Sofia«, antwortete sie und streckte ihm zögernd ihre Hand entgegen.
    »Ich bin Jonathan«, sagte er, ergriff ihre Hand und wunderte sich, wie warm sie war. »Sie sprechen Deutsch?«
    »Ja«, antwortete sie, »ein wenig.«
    Oben auf dem Portico öffnete sich erneut die Tür, und Riccardo kam heraus. Er schaltete die Außenbeleuchtung des Hauses an.
    Jetzt sah Jonathan Sofia etwas deutlicher und hielt den Atem an. In seinem Kopf drehte sich alles. Sie war schön.
    »In diesem Jahr ist der November sehr kalt«, sagte sie.
    Jonathan blieb stumm und konnte nicht aufhören, sie anzusehen, obwohl der dem Haus abgewandte Teil ihres Gesichtes im Schatten und im Dunkeln blieb. Er fixierte ihre hohe Stirn, die langen dunklen und glatten Haare, die schmalen Augen und den sanft geschwungenen Mund.
    »Mein Vater sagte, Sie suchen ein Zimmer?«
    »Ja.«
    »Für wie lange?«
    »Ich weiß es nicht. Ein paar Tage? Ein paar Wochen oder Monate? Ich habe wirklich keine Ahnung.«
    »Gut«, meinte sie und lächelte. »Kommen Sie. Ich zeige Ihnen die beiden Wohnungen, die wir haben. Dann können Sie sich eine aussuchen.«
    Sofia konnte es gar nicht glauben. Im Winter einen Gast zu haben war ein Geschenk des Himmels. Finanziell ein völlig unerwarteter warmer Regen. Außerdem würde das Haus beheizt, und es würde vielleicht nicht ganz so still werden über Weihnachten und Neujahr oder im Februar, wenn häufig Schnee fiel und sie manchmal tage-oder wochenlang nicht vom Berg hinunterkamen. Eine Abwechslung wäre es auf alle Fälle, und ein bisschen Arbeit konnte auch nicht schaden.
    Jonathan folgte Sofia, die langsam den Garten durchquerte und unterhalb des Portico die Tür hinter einem gemauerten Torbogen öffnete.
    Als er an ihr vorbeiging, kräuselte sie leicht die Nase.
    »Pia macht die beste Lasagne in ganz Ambra«, sagte Sofia, während sie die Wohnung betrat. »Hat sie Ihnen geschmeckt?«
    »Ja«, erwiderte Jonathan irritiert, »wie …, ich meine, woher wissen Sie das?«
    Sofia drehte sich lächelnd zu ihm um. »Sie haben den köstlichen Geruch der Lasagne immer noch an sich.«
    Offensichtlich wollte sie die Diskussion nicht weiter fortführen, denn jetzt machte sie eine große Geste, um den Raum zu präsentieren, in dem sie standen.
    »Dies ist die größere der beiden Wohnungen. Wohnzimmer mit Kamin, Küche, Bad und ein kleines Schlafzimmer. Hier haben Sie Morgensonne und einen schönen Blick. Zwar nicht ins Tal, aber über den Olivenhain. Den Torbogen können Sie nutzen wie eine kleine überdachte Terrasse, aber natürlich auch den Garten. Sie können sich aufhalten, wo Sie

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