Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
Vom Netzwerk:
anderes denken und redete fast automatisch.
    »Ach, das ist eine lange Geschichte, da würde dieser Abend nicht reichen, um sie zu erzählen …« Er warf einen kurzen Blick auf Sofia, die mit verschränkten Armen dasaß. »Ist dir kalt, Liebes? Soll ich dir deine warme Stola holen?«
    »Nein. Nicht nötig. Es ist okay.«
    Dennoch nahm Jonathan ihre Hände in seine und rieb sie warm. »Wirklich nicht? Es macht mir nichts aus, nochmal kurz ins Haus zu laufen.«
    »Nein, Jonathan, lass es! Ich friere nicht!« Sofias Ton klang leicht genervt. Seine übertriebene Fürsorglichkeit erinnerte sie daran, dass Amanda an kühlen Frühlingsmorgen immer darauf bestanden hatte, dass sie warme Strumpfhosen anzog, während die anderen Mädchen in ihrer Klasse längst Kniestrümpfe tragen durften.
    Jonathan hauchte ihr einen Kuss aufs Haar und wandte sich wieder Engelbert zu.
    Verlier jetzt nicht die Nerven, sagte er sich, bleib ruhig und freundlich. Lass dir nicht anmerken, dass du ihn kennst.
    »Aber zurück zu Ihrer Frage. Ich versuche es kurz zu machen. Die Liebe war der Grund. Ich habe hier in der Toskana Urlaub gemacht, habe Sofia gesehen, und da war es um mich geschehen.« Er legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie kurz an sich. »Ich wusste in der ersten Sekunde, dass ich ohne sie nicht mehr leben kann, und bin geblieben.«
    Es ist unglaublich, wie zärtlich und fürsorglich dieser Mann mit seiner Frau umgeht, dachte Ingrid. Er vergöttert sie ja geradezu.
    »Und das Anwesen hier, La Passerella«, fuhr Jonathan fort, »gehört meinen Schwiegereltern. Mein Anteil ist lediglich, dass ich Casa Gioia gebaut und die übrigen Ferienwohnungen renoviert habe. Ich kümmere mich um die Vermietung, meine Schwiegereltern sprechen kein Deutsch, sie könnten zu deutschen Gästen keinen Kontakt auf bauen, und Sofia kann verständlicherweise nicht am Computer arbeiten. So ergänzen wir uns alle, und ich bin froh, dass es mit der Vermietung so gut läuft.«
    »Was haben Sie denn vorher gemacht?«
    »Ich war Fotograf. Aber seit das Fotografieren digitalisiert ist und jeder mit ein paar Klicks jedes Bild am Computer verändern kann, lässt sich damit kaum noch Geld verdienen. Heutzutage kauft man sich für zweihundert Euro eine winzige Kamera, die vollautomatisch arbeitet, und macht damit fantastische Bilder. Und man hat unendlich viele Versuche frei. Was nicht gefällt oder misslungen ist, wird gelöscht. Wozu braucht man da noch einen Fotografen?«
    »Da haben Sie Recht. So hab ich mir das noch gar nicht überlegt.«
    Die erste Runde Fleisch war gar, und Ingrid verteilte das Brot. Engelbert legte neue Filets auf den Grill und schenkte Wein nach. Jonathan und Sofia hatten bisher an ihren Gläsern Wein nur genippt.
    »Auch ich kann bis heute noch nicht glauben, was ich für ein Glück hatte«, sagte Sofia mit leiser Stimme. »Plötzlich war Jonathan hier. Mitten im November, es kam mir vor, als wäre er vom Himmel gefallen. Er hat mein Leben völlig verändert, ist mein ständiger Schutzengel. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, wie es wäre, wenn er nicht da wäre. Ich wäre vollkommen hilflos. Und seit diesem November vor fünf Jahren ist er nie wieder gegangen.«
    »Doch, einmal«, widersprach Jonathan, »da war ich zwei Tage in Deutschland zu meinem Scheidungstermin.«
    »Darf ich Ihnen etwas Salat auftun?«, fragte Ingrid.
    »Ja, gern«, sagte Sofia, »das ist nett, danke.«
    Engelbert wendete die Fleischstücke und bepinselte sie mit Öl.
    »Für Sofia das Fleisch bitte durchgebraten, nicht blutig«, bemerkte Jonathan, »sie sagt es meist nicht, weil sie nicht unhöflich erscheinen will, aber sie mag es einfach nicht. So ist es doch, stimmt’s, Liebes?«
    Sofia nickte. Natürlich roch sie sofort, wenn das Fleisch noch blutig war, aber er ließ ihr keine Gelegenheit, es selbst zu sagen. Er war einfach immer schneller und regelte alles für sie, was er regeln konnte. Im Grunde behandelte er sie wie ein Kind, und sie war mittlerweile unselbstständiger als früher, als Jonathan noch nicht da gewesen war.
    Es war ihr klar, dass Jonathan sie lieben, umsorgen und beschützen wollte, aber es machte sie unfrei. Doch wenn dieser Gedanke auftauchte, verbot sie ihn sich sofort wieder und versuchte, dankbar zu sein.
    »Kein Problem.« Engelbert spritzte Bier auf das Fleisch.
    In diesem Moment klingelte Ingrids Handy.
    »Bitte entschuldigen Sie mich einen Moment«, sagte sie, nahm das Handy und entfernte sich in Richtung Pool.
    »Ist es

Weitere Kostenlose Bücher