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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Poolrand. »Wie wär’s, wenn wir die Valentinis fragen, ob sie Lust haben, heute Abend mit uns zu grillen?«, fragte sie Engelbert. »Fleisch habe ich, dazu mache ich einen Salat, und Wein ist genug da. Das wäre alles gar kein Problem.«
    »Mir egal. Frag sie. – Ich komme jetzt raus.«
    »Es ist dir egal? Wie egal? Hast du jetzt Lust, den Abend zusammen mit unseren Vermietern zu verbringen, oder möchtest du lieber, dass wir allein bleiben?«
    »Ich hab dir schon mal gesagt – es ist mir egal! Wenn sie kommen, ist es okay, wenn nicht, ist es auch gut.«
    »Also?«
    »Also frag sie. Wo ist das Problem?«
    »Himmel, bist du kompliziert!«
    »Nein, ich bin gar nicht kompliziert. Du bist kompliziert, weil es für dich ein Problem zu sein scheint, wenn mir irgendetwas egal ist.«
    Ingrid erwiderte nichts mehr, zuckte die Achseln, zog sich im Haus Shorts und ein T-Shirt über und ging die paar Schritte hinauf zum Haupthaus der Valentinis, um Jonathan und seine Frau persönlich zum Abendessen einzuladen.

DREIUNDZWANZIG
    Sofia wirkte in ihrem Hosenanzug fast ein wenig overdressed. Wie immer machte sie Jonathan eine Freude, wenn sie ihn zu einem besonderen Anlass anzog. Es war derselbe, den Jonathan ihr vor Jahren an einem verschneiten Wintertag gekauft hatte, und sie hatte ihn so pfleglich behandelt, dass er immer noch aussah wie neu.
    Die Kerners dagegen schienen mit ihrer legeren Freizeitbekleidung deutlich demonstrieren zu wollen, dass sie im Urlaub waren und ihr Freisein von Zwängen jeglicher Art genossen.
    So trug Ingrid Kerner eine gestreifte Bermuda-Sommerhose und ein einfaches T-Shirt, und Engelbert kurze gestreifte Shorts, dazu ein grellrotes Hemd, graue Baumwollsocken und braune Gesundheitssandalen. Er wog ungefähr zehn Kilo zu viel, sein Bauch wölbte sich deutlich über der Hose, und er machte keine Anstalten, ihn zu verstecken.
    Jonathan erinnerte er an die Karikatur eines typischen Deutschen, die er in einer Illustrierten gesehen hatte, und er hatte beobachtet, dass Dr. Kerner ähnliche Kombinationen auch trug, wenn er in den Supermarkt oder zur Besichtigung eines Klosters fuhr.
    Die Begrüßung war so herzlich, wie es unter Vermietern und Gästen möglich war, wenn man sich fast gar nicht kannte.
    Ingrid kredenzte ein Glas Prosecco als Aperitif.
    Die Heizrippen des kleinen Elektrogrills, der den Gästen der Casa Gioia zur Verfügung stand, glühten, und Engelbert wendete Filets, die Ingrid bereits am Nachmittag in Knoblauch-Rosmarin-Öl eingelegt hatte.
    Die Unterhaltung ließ sich zäh an. Kerners machten Komplimente über das Haus, und Jonathan fragte, was sie beruflich taten, um das Gespräch in Gang zu bringen und um vielleicht endlich einen Hinweis darauf zu bekommen, warum ihm dieser Mann so bekannt vorkam.
    »Ich bin Rentner«, sagte Engelbert und grinste, »aber noch vor wenigen Monaten war ich Richter am Amtsgericht. Nichts Aufregendes. Zivilstreitigkeiten, Strafverfahren, ich stehe immer dann auf der Matte, wenn es brenzlig wird, wenn eine Person zu Schaden gekommen ist und es nicht nur um Kinkerlitzchen geht. War eine schöne Arbeit, hab ich gern gemacht, aber jetzt ist Schluss. Jetzt genieße ich mein Leben.«
    Wenn eine Person zu Schaden gekommen ist, wiederholte Jonathan in Gedanken. Nichts Aufregendes.
    Und in diesem Moment wusste er es. Schlagartig wurde ihm klar, dass er vor neun Jahren im Gerichtssaal einen ganzen Vormittag lang in dieses Gesicht des Richters gestarrt hatte, der über sein und das Schicksal des Mörders seiner Tochter entscheiden sollte.
    Damals hatte Dr. Kerner noch etwas längeres, dichteres und graues Haar gehabt, mittlerweile war es schlohweiß. Er hatte eine Brille mit goldenem Rand getragen, jetzt war seine Brille randlos und fiel im Gesicht fast gar nicht mehr auf. Außerdem war er wesentlich schlanker gewesen. Und es war ein gewaltiger Unterschied, ob man einen Menschen in der Robe oder in Shorts und Sporthemd vor sich sah.
    Der Abendwind war aufgekommen, und Ingrid ging ins Haus, um sich eine Jacke zu holen. Es würde ewig dauern, bis das Fleisch gar war, wegen des Windes wurde der Grill nicht heiß genug.
    »Wie kommt es, dass ein Deutscher wie Sie sich hier in der Toskana so ein wunderbares Anwesen aufgebaut hat? Ich meine, wie haben Sie das gefunden? Was hat Sie hierherverschlagen?«, fragte Engelbert gerade, als Ingrid wieder auf die Terrasse kam.
    Ja, er ist es, dachte Jonathan, er ist es wirklich. In seinem Kopf drehte sich alles, er konnte an nichts

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