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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Jonathan zugekommen und hatte ihm die Hand gegeben.
    »Ich bin Tobias Altmann«, flüsterte er und blickte verschämt zu Boden, »ich wollte Ihnen nur sagen, wie leid mir das mit Ihrer Tochter tut. Bitte entschuldigen Sie.«
    Dann hatte er sich umgedreht, war mit eiligen Schritten den Gerichtsflur hinuntergerannt und im Sitzungssaal verschwunden.
    Wie einfach, dachte Jonathan, wie profan und so banal, dass es einem schon fast wehtut. Er knallt mir hier einen auswendig gelernten Satz um die Ohren und glaubt, dass in diesem Moment alles gut ist. Nein, Tobias Altmann, nein, ich entschuldige nicht. Da gibt es nichts zu entschuldigen, was du getan hast, ist unverzeihlich.
    Überdies ist das Gericht zu der Überzeugung gekommen, dass es weder dem Opfer noch den Hinterbliebenen etwas nützt, wenn Tobias Altmann eine Freiheitsstrafe erhielte, die als Vorstrafe seiner Karriere ein Leben lang im Wege stünde. Daher ist das Gericht unter dem geforderten Strafmaß der Staatsanwaltschaft geblieben.
    »Bitte entschuldigen Sie mich«, sagte Jonathan und stand auf, »es geht mir nicht gut, ich glaube, ich muss mich hinlegen, es tut mir leid. Komm, Sofia.«
    »Was hast du? Warum ist dir nicht gut?«, fragte Sofia, obwohl sie die Unruhe spürte, die von Jonathan ausging, und legte ihm die Hand auf den Arm. Er antwortete nicht.
    »Gute Nacht«, sagte sie, »und vielen Dank für das wundervolle Essen, es war sehr nett.«
    Engelbert stand auf und umarmte Jonathan flüchtig mit einem angedeuteten Kuss über der rechten und der linken Schulter. Jonathan erstarrte und stand da wie ein Stock. Dann umarmte Engelbert Sofia. Er küsste sie auf beide Wangen und drückte sie an sich. Vielleicht für den Bruchteil einer Sekunde zu lang.
    Jonathan wurde heiß. Die Wut stieg in ihm hoch, und er ballte seine Fäuste, um dem Richter nicht ins Gesicht zu schlagen. Du nimmst sie mir nicht, dachte er. Ich werde sie beschützen. Jetzt und alle Tage bis an mein Lebensende.
    Engelbert grinste freundlich. »Kommen Sie gut nach Hause und lassen Sie das Auto stehen, Sie haben getrunken!«, scherzte er und lachte schallend über seinen gelungenen Witz.
    Ingrid gab beiden die Hand, und dann gingen Jonathan und Sofia um das Haus herum und verschwanden, ohne sich noch einmal umzudrehen, in der Nacht.
    Jonathans Herz raste. Die Wut tobte in seinem Kopf und in seinem Körper, er hatte das Gefühl, jeden Moment zu explodieren. Sofia fuhr ihm sanft übers Haar und über den Rücken.
    »Du zitterst ja«, sagte sie leise. »Was ist los? Was ist passiert?
    »Nichts, Sofia, es ist nichts.«
    »Hat es irgendwas mit mir zu tun?«, fragte Sofia verunsichert.
    »Aber nein!« Jonathan blieb stehen und nahm sie in den Arm. »So etwas darfst du nicht denken! Niemals! Ich glaube, es gibt nichts, was du sagst oder tust, was mich verärgern könnte.« Er küsste ihre Stirn, ihre Augen und ihren Mund.
    Ihr Kopf lag immer noch an seiner Schulter, und sie nahm einen ganz feinen Schweißgeruch wahr, der sich mit dem Duft von Waschpulver vermischte.
    Es war der Geruch der Angst, aber sie fragte nicht weiter.
     
    Er konnte nicht schlafen. Quälend langsam vergingen die Minuten. Sofia lag neben ihm und atmete gleichmäßig, ihre kleine Hand lag auf seiner Brust, als wolle sie verhindern, dass er noch einmal aufstand.
    PAPA, HÖRST DU MICH? ICH MUSS DIR WAS SAGEN.
    Giselle?
    ICH BIN DA.
    Was soll das alles?, überlegte Jonathan, ich habe mich aufgeregt, bin übermüdet und sollte jetzt endlich schlafen. Morgen werde ich den Richter und seine Frau bitten abzureisen, damit der Spuk vorbei ist.
    NEIN, DAS WIRST DU NICHT TUN.
    Ich will Frieden. Will nicht, dass alles wieder von vorn anfängt.
    DER MANN, DER MICH TOTGEFAHREN HAT, FÜHRT EIN FABELHAFTES LEBEN. DIESER MAN LEBT, UND ICH NICHT. ICH BIN TOT. MIR HAT ER ALLES GENOMMEN, UND ER IST KAUM DAFÜR BESTRAFT WORDEN. EINE MAUSCHELEI UNTER FREUNDEN. DAS IST BETRUG, VERRAT! DAS KANNST DU DOCH NICHT HINNEHMEN! BITTE, PAPA, LASS MICH NICHT IM STICH!
    Was soll ich tun?
    TÖTE IHN. NIE WIEDER BEKOMMST DU SO EINE GELEGENHEIT. DER MANN, DER MEINEN MÖRDER BESCHÜTZT HAT, WOHNT IN DEINEM HAUS! RÄCHE MICH!
    Wie denn?
    Die Stimme antwortete nicht mehr.

VIERUNDZWANZIG
    Direkt vor dem Haus stand ein Nussbaum, die saftig grünen Blätter waren selbst vom Bett aus zum Greifen nah. Der Baum verdunkelte das Schlafzimmer in angenehmer Weise, so musste man die Fensterläden nicht schließen und wurde doch nicht durch gleißendes Sonnenlicht geweckt. Die

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