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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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als Richter Ihrem Freund helfen?«, fragte Sofia, die sich bisher so gut wie gar nicht an der Unterhaltung beteiligt hatte.
    »Ach – das war so eine liebe Sache.« Engelbert fühlte sich durch Sofias Frage geschmeichelt und erzählte die Geschichte gerne. »Hennings Sohn hatte da mal Mist gebaut. Er hatte gerade Abi gemacht, ein glänzendes Abitur übrigens, und das hat er mit seinen Freunden natürlich gefeiert. Na ja, und wie das so ist, hat er dabei ein paar Gläser zu viel getrunken. Und dann wollte er seine Freundin abholen, ist ins Auto gestiegen und hat im Suff einen Unfall verursacht. Ziemlich blöde Geschichte. Leider mit Personenschaden. Tja. Dumm gelaufen. Da stand eine junge Frau an der Ampel, und die hat er überfahren. War regelrecht tragisch. Und der Junge war hinterher völlig fertig. Psychisch dermaßen am Ende, das können Sie sich nicht vorstellen. Er ist ein hochintelligentes Bürschchen, macht ein glanzvolles Abi, und dann fährt er eine Frau tot! War nicht einfach für die Eltern, aber für ihn auch nicht. Wie soll so ein junger Mann denn damit klarkommen? Jetzt unterdessen – das haben wir ja gerade gehört – hat er eine Bombenkarriere gemacht. Stellen Sie sich vor, er hätte diesen Schock nicht überwunden. Was die Gesellschaft mit ihm für ein wertvolles Mitglied verloren hätte! Er ist jetzt ein Mann, der als hochdotierter Anwalt international für Gerechtigkeit sorgt. Und dieser Mann wäre beinahe an so einem Blödsinn, den er als junger Mensch gemacht hat, gescheitert!«
    Unter dem Tisch drückte Jonathan mit aller Kraft seine Fingernägel in die Handballen, um nicht ohnmächtig zu werden.
    »Ich verstehe nicht ganz«, fragte Sofia, »wie konnten Sie denn da helfen?«
    »Na ja, um es kurz zu machen, ich hab dafür gesorgt, dass die Angelegenheit auf meinen Schreibtisch kam, hab die Sache entschieden und gesehen, dass der junge Mann mit einem blauen Auge davonkam. Der arme Kerl hatte ja nicht wirklich was verbrochen, und das Ganze war ihm sicher eine Lehre.«
    »Ah ja.« Jonathans Kehle schnürte sich zusammen.
    Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil: Der Angeklagte unterliegt dem Jugendstrafrecht. Er wird wegen des Führens eines Fahrzeugs bei Trunkenheit und der fahrlässigen Tötung einer Frau verwarnt, erhält eine Geldstrafe von achttausend Mark und ist verpflichtet, innerhalb der nächsten drei Monate zweihundert Stunden gemeinnützige Arbeit zu verrichten. Der Führerschein wird ihm für ein halbes Jahr entzogen.
    Die Sätze des Richters klangen Jonathan noch in den Ohren.
    Ingrid stand auf und schaltete die Stereoanlage im Haus an. Leise drang Musik von Donovan durchs offene Fenster. Engelbert redete weiter.
    »Wissen Sie, ich sehe meine Aufgabe nicht nur darin, die Leute zu drastischen Strafen zu verdonnern, ich glaube, es ist genauso wichtig, Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Was hätte es denn genützt, wenn ich Tobias jetzt die gesamte Zukunft verbaut hätte? Nichts! Es hätte die junge Frau nicht wieder lebendig gemacht.«
    Jonathan glaubte, sein Herz würde aufhören zu schlagen.
    »Vor allem hab ich darauf geachtet, dass Tobias nicht vorbestraft ist. Das war das Wichtigste, sonst kriegt er ja nie mehr einen Fuß auf die Erde. Wenn man da an den falschen Richter kommt, dann hat man einen Makel fürs Leben, und – mein Gott – damals war der arme Kerl einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Das war alles. Wenn so ein junger Mensch begreift, dass das, was er getan hat, nicht richtig oder zumindest grob fahrlässig war, und sich die ganze Sache zu Herzen nimmt, dann ist es ja gut.«
    »Und die junge Frau?«, fragte Jonathan, »sie war dann wohl auch zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort?«
    »Ja, so kann man das sagen.« Er machte ein ernstes Gesicht, schenkte Wein nach und hob sein Glas. »Kinder!«, rief er und sein Gesicht glühte, »trinken wir auf die Freundschaft!«
    Tobias Altmann ist geständig und zeigt echte und tiefe Reue. Er hat seitdem keinen Alkohol mehr getrunken. Eine Wiederholung oder ein ähnliches Vergehen ist somit nicht zu befürchten.
    Für den Angeklagten spricht auch die Tatsache, dass er sich bei den Eltern des Opfers entschuldigt hat. Dieses Verhalten hat ebenfalls zu dem milden Urteil beigetragen. Das Gericht möchte ihm die Chance lassen, ein verantwortungsvolles Leben zu führen und sich eine erfolgreiche Zukunft innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft aufzubauen.
    Vor der Verhandlung war ein schmaler junger Mann im Anzug auf

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