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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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vor seinen Augen, er fürchtete zu fallen und hielt sich an der Hausmauer fest.
    Erst nach einigen Sekunden ging er weiter, und seine eigenen Schritte dröhnten in seinem Kopf.
    »Buongiorno«, rief er, bevor er am Schlafzimmerfenster vorbeimusste, und versuchte mühsam, seiner Stimme einen festen Klang zu geben.
    »Con te partirò …«
    »Ja, ja, kommen Sie nur!«, antwortete Engelbert fröhlich, und Jonathan ging am Schlaf-und Badezimmerfenster vorbei und ums Haus herum.
    Er hatte das Gefühl, sich wie eine Marionette zu bewegen. An Fäden aufgehängt und fremdgesteuert. Engelberts Stimme hörte er wie durch Watte: dumpf, weit entfernt und gedehnt wie in Zeitlupe.
    Engelbert kam gerade die steinerne Treppe vom Pool herauf und blieb auf der obersten Treppenstufe stehen.
    »Guten Morgen, Herr Valentini! Geht es Ihnen besser? Nett, dass Sie vorbeikommen.«
    »Ja, es geht mir besser, danke.« Jonathan hatte einen säuerlichen Geschmack im Mund und merkte, wie sich sein ganzer Körper verkrampfte.
    »Io con te«, sang Bocelli.
    »Sagen Sie, kann es sein, dass Sie gestern Abend irgendetwas in den falschen Hals bekommen haben?«, fragte Engelbert. »Meine Frau und ich hatten den Eindruck! Wissen Sie, Herr Valentini, das täte mir leid, denn auch ich habe gestern noch lange an unser Gespräch gedacht. Als wir über die Freundschaft und all das geredet haben. Ich glaube einfach, dass manche Menschen schicksalhaft aufeinandertreffen. Sie haben da gestern diese junge Frau angesprochen. Das beschäftigt mich auch, weil es so ungerecht erscheint, dass sie ihr Leben verlieren musste, aber manchmal setzt das Schicksal eben derart den Hobel an – da fallen Späne!«
    Was?, schrie Jonathan in Gedanken, was meint dieses Arschloch? Meine Tochter hatte eben Pech, sie war eben nur einer der »Späne«?!
    JETZT!
    Jonathan sah Engelbert wutverzerrt an. Voller Hass. Dann gab er ihm einen gewaltigen Stoß.
    Engelbert konnte sich nirgends halten und stürzte rückwärts die Treppe hinunter.
    Die Treppe war aus groben Natursteinen gebaut, sie hatte hohe Stufen und extrem scharfe Kanten. Auf der linken Seite zur Liegewiese hin gab es kein Geländer, auf der rechten säumte eine flache Mauer das steil abfallende Rosenbeet zwischen oberer und unterer Terrasse.
    Mit dem Hinterkopf schlug er gegen einen scharfkantigen Stein der flachen Mauer und blieb mit dem Kopf nach unten auf der untersten Treppenstufe liegen, die Beine auf der steilen Treppe nach oben hin grotesk gespreizt. Seine frisch operierte Hüfte war gebrochen.
    Jonathan nahm aus der Trockenmauer, die die Eiche neben der Treppe umkränzte, einen schweren Stein, lief die Treppe hinunter, beugte sich über ihn und schlug ihm den Stein ohne Vorwarnung und mit aller Kraft auf den Kopf, während er ihm eiskalt in die Augen sah.
    Engelbert röchelte, und der Terrakottafußboden färbte sich rot.
    TÖTE IHN!
    »Du verstehst nicht, was hier los ist, stimmt’s?«, flüsterte Jonathan, und es klang wie das Zischen einer Schlange. »Du weißt nicht, warum ich dir den Schädel zertrümmert habe, stimmt’s? Du begreifst gar nichts!«
    Er packte Engelbert an der Schulter und drehte ihn ruckartig zur Seite und auf den Bauch. Engelbert stöhnte auf vor Schmerz.
    »Bitte nicht«, röchelte Engelbert, und sein Gesicht war angstverzerrt. »Warum …«, presste er noch hervor, aber dann spuckte er Blut.
    »Ich bin der Vater der jungen Frau, die an der Ampel überfahren worden ist. Und ich wollte, dass du das weißt, bevor du stirbst.«
    Engelbert begann zu schreien.
    TÖTE IHN!
    Jonathan ließ erneut den schweren Stein auf Engelberts Schädel krachen.
    TÖTE IHN!
    Er schlug noch einmal zu. Auf den Hinterkopf. Mit aller Kraft.
     
    Gianni wollte gerade seine Motorsense starten, als er den fürchterlichen Schrei hörte. Er hielt inne und runzelte die Stirn. So einen durchdringenden, verzweifelten Schrei hatte er noch nie gehört. So schrie niemand, dem ein Vorschlaghammer auf den Fuß gefallen war, der sich in den Finger geschnitten hatte oder von einer Viper gebissen worden war. So schrie man in Todesangst, überlegte Gianni und fand seinen Gedanken im selben Moment viel zu pathetisch.
    Blödsinn. Hier wohnten Deutsche, komische Leute, und für das Geschrei gab es sicher eine ganz harmlose Erklärung.
    Aber der Schrei wollte nicht enden, und Gianni setzte sich in Bewegung. Langsam, wie es nun mal seine Art war.
     
    Auch Sofia hatte den Schrei gehört und war zu Tode erschrocken. Da war ein Mensch in

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