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Der Menschenraeuber

Der Menschenraeuber

Titel: Der Menschenraeuber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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an diesem Morgen um sechs Uhr dreißig der Wecker geklingelt hatte, hatte Alfonso sterben wollen. Sein Kopf dröhnte, und er wusste, dass er auf gar keinen Fall aufstehen und ins Büro gehen konnte. Gestern Abend war es in der Scheune eines Landarbeiters, der beim Kartenspielen ein Ferkel gewonnen hatte, zu einem spontanen Grillfest mit anschließendem Besäufnis gekommen. Um zwei Uhr hatten Nachbarn die Polizei alarmiert und Neri rausgeklingelt. Völlig verschlafen und missgelaunt war Neri hingefahren und hatte Alfonso unter den Ruhestörern entdeckt. Wortlos hatte er auf dem Absatz kehrtgemacht und war wieder nach Hause gefahren. Daher wunderte es ihn gar nicht, dass Alfonso heute Morgen nicht im Büro erschienen war und auch nicht anrief, um sich krankzumelden. Neri wusste Bescheid.
    Deswegen empfand er höchste Genugtuung, Alfonso nun doch aus dem Bett werfen zu müssen, denn es ärgerte ihn schon lange, dass er bei solchen Festen meist außen vor blieb. Jetzt freute es ihn umso mehr, als er sah, wie Alfonso blass und mit blutunterlaufenen Augen angefahren kam und sich offensichtlich quälte.
    »Gianni sagte mir, ein Feriengast auf La Passerella ist eine Treppe hinuntergefallen, hat sich den Kopf aufgeschlagen und ist tot.«
    »Hm«, grunzte Alfonso desinteressiert, denn für ihn gab es im Moment nichts Schlimmeres als seine quälenden Kopfschmerzen.
    Der Notarzt war zusammen mit zwei Helfern der Misericordia bereits vor zwanzig Minuten eingetroffen und hatte zweifelsfrei den Tod des Feriengastes festgestellt. Jetzt ging er am Pool auf und ab, rauchte und wartete zusammen mit Jonathan, Sofia und Gianni auf das Eintreffen der Polizei.
    Sofia weinte. Jonathan hatte den Arm um sie gelegt und versuchte, sie zu trösten.
    »Da kann keiner was dafür«, sagte er leise, »Unfälle passieren eben. Das ist furchtbar, aber nicht zu verhindern.«
    Sofia nickte und weinte weiter.
    Neri stand vor der Leiche und runzelte die Stirn. Er ertappte sich dabei, dass er darüber nachdachte, ob der Blutfleck wohl jemals wieder von den Terrakottafliesen abzuwaschen wäre.
    Unterdessen zog Alfonso seine Latexhandschuhe aus der Uniformjacke, streifte sie sich mühsam über und drehte den Kopf des Toten so, dass er die Wunde am Hinterkopf sehen konnte.
    »Porcamiseria«, stöhnte er, »wie kann man sich beim Trepperunterfallen nur derart den Schädel zertrümmern. Das ist ja unglaublich!«
    Der Arzt trat dazu. »Für mich ist die Sache relativ eindeutig: Er ist hier auf diese Kante gefallen, Sie sehen ja das Blut. Natürlich gibt es Menschen, die fallen so eine Treppe runter und tun sich bis auf ein paar Schürfwunden gar nichts, dieser Mann hatte wahrscheinlich einfach Pech. Außerdem kommt es auch immer darauf an, wie beweglich ein Mensch ist. Ob er in der Lage ist, noch im Fallen den Sturz zu korrigieren, ihn im letzten Moment günstig abzufangen, geschickt abzurollen oder Ähnliches. Der hier muss jedenfalls abgestürzt sein wie ein schwerer Sack. Und dann ist er auch noch auf den Hinterkopf geprallt. Die denkbar ungünstigste Variante. So hatte er noch nicht einmal die Chance, zum Schutz die Hände vorzustrecken.«
    »Warum ist er überhaupt rückwärts runtergefallen?«, warf Alfonso ein. »Normalerweise fällt man doch vorwärts, wenn man stolpert! Und das hätte niemals so schlimm geendet!«
    »Könnte ja sein, dass er gerade die Treppe hochgekommen war, aus irgendeinem Grund das Gleichgewicht verloren hat und dann rücklings abgestürzt ist«, meinte Jonathan.
    »Ja, das könnte sein.« Neri fasste den Toten nicht an. Er betrachtete ihn nur von oben, ging dann um den Pool herum und versuchte, sich die Szene aus der Entfernung vorzustellen. »Falls er sich erschrocken haben sollte, werden wir wohl nie mehr erfahren, worüber.«
    »Das ist typisch für dich, Neri.« Alfonso hatte einen hochroten Kopf und merkte, dass er fürchterlich schlechte Laune bekam. »Die Ermittlungen haben noch gar nicht begonnen, da sind sie für dich schon wieder abgeschlossen.«
    Gianni kam dazu, hielt sich im Hintergrund und beobachtete stumm die Szene.
    »Was willst du denn hier ermitteln?«, schrie Neri. »Da fällt ein Feriengast die Treppe runter. Wie mysteriös! Sollen wir nach dem Schwarzen Mann fahnden, der hinter dem Oleander gesessen und ihn hinuntergeschubst hat?«
    Dieser Alfonso ist unerträglich, dachte Neri, wenn es doch nur irgendeine Chance gäbe, hier wegzukommen. Es musste ja nicht gleich Rom sein. Siena, Arezzo oder Florenz wären

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