Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman
dass sie ihren Scharfsinn eher für ihre Ideologie einsetzen. Um was kann es sich handeln? Drogen sind das Naheliegende. Oder eine andere Art von Schmuggel?«
Er bestätigte seine eigenen Ausführungen mit einem Nicken. »Sie müssen ja ihre Propaganda finanzieren. Aber es kann selbstverständlich auch eine ganz andere Seite geben, zumindest bei einigen von ihnen. Doch, genau genommen ist das durchaus denkbar«, fügte er nach kurzem Zögern hinzu. »Aber dann arbeiten sie äußerst diskret. Schließlich stehen die unter der Beobachtung des Geheimdienstes, obwohl die vermutlich keine Ressourcen haben für eine 24-Stunden-Überwachung.«
Dicte strich der Katze übers Fell. Es war warm auf ihrem Schoß geworden, aber sie brachte es nicht übers Herz, sie runterzuschubsen.
»Ich habe gehört, dass die Rocker den Drogenhandel fest in ihrer Hand haben«, sagte sie. »Und in letzter Zeit sind die Asylanten dazugekommen, zumindest in der Hauptstadt. Ist da überhaupt noch Platz für eine neue Gruppe?«
Er schüttelte mit skeptischem Blick den Kopf.
|252| »Gute Frage. Vielleicht handelt es sich auch um etwas vollkommen anderes.«
»Etwas ganz Neues?«
Einen Augenblick lang war sie versucht, ihm alles zu erzählen und in seine Erfahrung als ausgestoßenes Elternteil abzutauchen. Aber es hielt nur eine Sekunde an, dann kehrte sie mit ihrer vollen Aufmerksamkeit wieder zurück und hörte ihm zu.
»Oft ist es ja so, dass die Verbrecher etwas entdecken, bevor wir es tun. Die Nachfrage nach einer Ware, von der wir noch nicht einmal wussten, dass wir sie haben wollen. Darin ist die Unterwelt leider sehr bewandert: etwas zu liefern, von dem wir dann denken, ohne es nicht mehr existieren zu können.«
»Und es gibt genug Geld dafür?«
Er nickte.
»Ich vermute, es war noch nie so viel Geld in Umlauf wie jetzt. Die Leute können sich alles leisten: neue Autos, Reisen, neue Küchen, Badezimmer und alles, wovon man so liest und hört. Wir haben viel Geld. Auch für Dinge, die wir vorher für unmöglich gehalten haben.«
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Kapitel 37
Die Schmerzen überfielen ihn im Badezimmer nach der Rasur. Obwohl, es war eher ein Krampf als ein Schmerz. Er begann irgendwo im Hals. Wagner dachte zuerst, er hätte sich verrenkt, aber dann wanderte das Stechen tiefer, und bevor er es richtig realisieren konnte, war sein Atem wie eingeschnürt, und er konnte nur noch unter großen Mühen Luft holen. Kurz darauf breitete sich der Schmerz im gesamten Brustkasten aus, sein verzerrtes Spiegelbild ließ ihn erstarren.
Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. War es das Herz? Würde er jetzt sterben müssen? Ohne sich von Ida Marie |253| verabschieden zu können, die gerade Kaffee kochte in der Küche? Ohne seinem kleinen Sohn Martin adieu sagen zu können, der gleich in den Kindergarten ging. Oder Alexander, der schon auf dem Weg zu Schule war und sich praktisch über Nacht zu einem Teenager entwickelt hatte, der anfing, sich deutlich von seinem Vater zu distanzieren. Oder von seiner mittlerweile erwachsenen Tochter, die selbst gerade Mutter geworden war.
Er war nicht in der Lage, nach Ida Marie zu rufen. Er konnte nur abwarten. In dieser Zeit wanderten seine Gedanken zu seinen Kindern und seiner ersten Ehe mit Nina, die so früh gestorben war. Die Liebe war doch das Größte, und es war richtig, dass er seine Nächsten mit seinem Todeskampf verschonen würde. Es wäre okay, wenn er jetzt gehen müsste. Wäre die Zeit gekommen, zog er es vor, dass er dieses Mal als Erster ging. Anders als Mette Mortensen hatte er sein Leben so gut gemeistert, wie es nun einmal möglich gewesen ist. Er hatte sich von einem jungen, hochmütigen Polizeianwärter zu einem hoffentlich mündigen Bürger mit gesundem Menschenverstand entwickelt. Er hatte in vielerlei Hinsicht großes Glück gehabt. Aber auch wenn es ihm gelang, zwar widerstrebend, aber gehorsam Abschied zu nehmen, wären seine Liebsten nicht damit einverstanden. Sie würden nicht loslassen können, und dafür liebte er sie umso mehr. Darum gelang es ihm, sich mit letzter Kraft auf den Toilettendeckel zu bugsieren. Geduldig wartete er, während er auf das Waschbecken, die Seife und das Regal mit Ida Maries Parfumflakons starrte. Ihr Geruch, ihre Haut, ihre Küsse. Die Eindrücke und Erinnerungen drängten sich in seine Gedanken über den Tod. Nein, er war doch noch nicht bereit, zu gehen.
In diesem Augenblick war es, als ob der Eisengriff um seine Brust sich lockern würde. Er konnte
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