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Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman

Titel: Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsebeth Egholm
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Die Zahl 28 tanzte auf dem Bizeps des linken Arms, auf dem anderen stand die Zahl 88. Dann gab es Totenköpfe und Soldaten, deren Blicke in die Ferne schweiften, die Helme trugen, auf denen »SS« stand, wobei die Buchstaben wie ein umgedrehtes »Z« aussahen. Sie entdeckte auch ein ungewöhnlich geformtes »Y«, das oben einmal durchgestrichen war. Und auf der linken Brust die Südstaatenflagge mit einem Text, den sie nicht lesen konnte.
    »Findest du das gut, was du da siehst, Schlampe?«
    Er kam einen Schritt auf sie zu. Jetzt konnte sie den Text entziffern: »We must secure the existence of our people and a future for white children.«
    Sie kannte die richtige Antwort nicht, darum nickte sie.
    »Du lügst.«
    Sie nickte erneut.
    Er kam noch näher heran. Seine Hand schoss vor und drückte ihr den Hals zu. Sein Gesicht näherte sich ihrem. Seine Lippen berührten ihre Wange, ihre Stirn. Für einen kurzen Augenblick glaubte sie, er würde sie auf den Mund küssen. Es schien, als ob eine unerwartete Zärtlichkeit in ihm aufflammte. Aber da ließ er sie auch schon wieder los und gab ihr eine schallende Ohrfeige, dass es in ihrem Kopf nur so klingelte.
    |106| »Niemand findet das gut. Absolut niemand. Und das ist auch gar nicht beabsichtigt.«
    Sie spürte, wie Wassertropfen ihre Wangen hinunterliefen. Sie würde sie nicht Tränen nennen, sie weinte nie.
    »Hör auf mit dieser Heulerei. Nur Kinder weinen.«
    Seine Stimme war kalt und hart, aber kippte mitten im Satz. Er drehte ihr den Rücken zu. Der Hund kam zu ihm, und er hockte sich hin und ließ sich das Gesicht von ihm ablecken. Da sah sie zum ersten Mal das große Kreuz auf seinem Rücken. Es war kein normales Kreuz. Die Arme standen im rechten Winkel zueinander und waren eingefasst von einem Kreis. Das Kreuz nahm den gesamten Platz ein, von den Schulterblättern bis hinunter zur Taille.
    Er stand wieder auf, kam auf sie zu und sah sie mit vollkommen verändertem Blick an. Sie erkannte ihn nicht wieder. So einen Ausdruck hatte sie noch nie zuvor gesehen. Nicht bei einem Menschen.
    Sie begann zu zittern.

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    Kapitel 16
    Die meisten Geschäfte hatten schon geschlossen, darum fand sie ohne weiteres einen Parkplatz in der Jægersgårdsgade, ganz in der Nähe vom Hauseingang.
    Dicte schaltete den Motor aus. Von ihrer Position aus konnte sie mit Leichtigkeit beobachten, wer das Haus betrat oder verließ, in dem die drei Männer auf den Fotos von Frederik Winkler verschwunden waren. Bo hatte eine Sportveranstaltung für die
Avisen
zu fotografieren, und sie hatte bereits ihr Tagwerk erledigt und den zweiten Artikel über die rechte Szene in Dänemark im Allgemeinen und in Århus im Besonderen fertiggeschrieben. Sie hatte sich dabei an Gemeinplätze gehalten. Es |107| war noch zu früh und auch zu gefährlich, jetzt schon Namen, Orte und Zeitpunkte zu erwähnen.
    Sie versuchte sich die ganze Zeit zu ermahnen, dass es keine Beweise gab für einen Zusammenhang zwischen den Morden und der politischen Rechten. Natürlich gab es Verbindungen zwischen den serbischen Nationalisten im Kosovo, den alten Nazis in Polen – wo offenkundig viele Antisemiten lebten – und der Dansk Front, White Pride oder wie die in Dänemark hießen. Sie hatte Wagner ansehen können, dass seine Gedanken ihn dorthin führten. Was nur allzu verständlich war. Er suchte nach einem Zusammenhang, und natürlich gab es ihn auch irgendwo. Drei identische Morde in Europa konnten kein Zufall sein, aber sie wollte nicht darauf festgenagelt werden. Es könnte auch eine andere Erklärung dafür geben.
    Sie hatte den Blick auf die Eingangstür geheftet, während Bruchstücke der Begegnung mit Wagner am Vormittag in ihrer Erinnerung auftauchten. Am nachhaltigsten war ihr seine Ernsthaftigkeit im Gedächtnis geblieben, und zum ersten Mal waren ihr Gedanken über seinen Namen und familiären Hintergrund in den Kopf gekommen. Ida Marie hatte ihr mal ein bisschen darüber erzählt. Von seiner dänischen Mutter, die sich in einen deutschen Besatzungssoldaten verliebt hatte und nach der Befreiung als »Feldmatratze« denunziert, geschoren und gedemütigt worden war. Und von seinem Vater, einem ganz gewöhnlichen Wehrpflichtigen im deutschen Heer, der sich nie für Politik interessiert und sich als Glückspilz gefeiert hatte, als er nach Dänemark versetzt wurde. Sein Bruder, Onkel Günter, hatte sein Leben an der Ostfront gelassen, nur wenige Kilometer vor Stalingrad erfroren, bekleidet mit dünnen Stiefeln

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