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Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman

Titel: Der Menschensammler - Dicte Svendsen ermittelt Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elsebeth Egholm
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und abgewetzter Uniform.
    Viel mehr hatte Ida Marie nicht erzählt. Dicte konnte den Rest selbst vervollständigen, denn die Geschichte zeigte, dass der Soldat nach Kriegsende zurückgekehrt war und die Liebe seines Lebens geheiratet hatte. Das war bestimmt nicht einfach gewesen, im Nachkriegs-Dänemark als Kind einer solchen Mischehe |108| großzuwerden, wie liebevoll die Eltern auch zu ihrem Sohn gewesen sein mochten.
    Und jetzt saß ebendieser Sohn vor einem Fall, der ihn mit so vielem konfrontierte, das er lieber verdrängt hätte. Und dazu die Ermittlungsergebnisse der vergangenen Jahre über entbeinte Leichen mit ausgestochenen Augen in Århus, Lublin und Priština, die alle in unmittelbarer Nähe zu Fußballstadien gefunden worden waren.
    Auch das war bestimmt nicht einfach.
     
    Die Tür zum Hauseingang öffnete sich, während sie ihren Gedanken nachhing. Eine Frau kam heraus. Dicte konnte sie deutlich durch die Windschutzscheibe sehen. Ihre Hautfarbe hatte einen dunklen Farbton, der auf eine dänische Mutter und einen afrikanischen Vater schließen ließ. Ihre Lippen waren voll, besonders die Unterlippe, was ihr einen etwas schmollenden, sexy Ausdruck verlieh. Sie war klein und zierlich, trug superhohe grüne Schuhe und darüber einen kurzen, hellen Trenchcoat, den sie in der Taille fest zusammengebunden hatte. Im ersten Augenblick sah es aus, als würde sie wanken. Sie blieb einen Moment still stehen und blinzelte wie überrascht in die späte Nachmittagssonne. Ihr Haar trug sie in einem Pferdeschwanz. Sie war eine sehr schöne Frau.
    Ihre Lippen zitterten, und ihr Mund wirkte verzerrt. Der knallrote Lippenstift war verschmiert. Mitten auf dem Bürgersteig holte sie einen Taschenspiegel hervor und wischte sich mit routinierten Bewegungen die überschüssige Farbe ab, erst den einen Mundwinkel, dann den anderen. Auch die Augen wurden überprüft, mit einem Taschentuch brachte sie die Mascara wieder in Ordnung.
    Die Frau klappte den Spiegel zusammen, und Dicte hatte den Eindruck, dass sie von ihr taxiert wurde. Sie war so um die vierzig, konnte aber als junges Mädchen durchgehen, wenn sie nicht die hochhackigen Schuhe angehabt und eine Selbstsicherheit ausgestrahlt hätte, die wie eine Schicht über der Verletzlichkeit |109| lag, als würde sie unter dem Trenchcoat eine schusssichere Weste tragen.
    Das Timing war perfekt. Eine Sekunde, nachdem der Spiegel wieder in der Tasche verschwunden war, ging die Tür auf, und ein Mann kam heraus. Die Frau sah ihn überrascht an. Er war jünger als sie, aber ihre Körpersprache verriet, dass er das Sagen hatte. Er trug ein langärmliges T-Shirt und enge Jeans, dazu Turnschuhe. Er war klein, nicht viel größer als sie auf ihren Absätzen, dafür aber sehr muskulös, als würde er täglich stundenlang mit Gewichten trainieren. Er sah die Straße hinunter. Dicte spürte seinen Blick, der über ihr Auto wanderte, und war dankbar für ihre Sonnenbrille.
    Die Frau wirkte verwirrt, als er einen Arm ausstreckte und sie um die Taille fasste. Dann zog er sie eng an sich heran, küsste sie ausgiebig und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Aber sie lächelte nicht. Sie antwortete etwas, fast flehend. Dann tat er etwas, was überhaupt nicht zu seiner Erscheinung passte. Er hielt sie ein Stück von sich und betrachtete sie eine Weile; dann beugte er sich vor und gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze.
    Dann ließ er sie los, drehte ihr den Rücken zu und schlenderte die Jægersgårdsgade in Richtung Stadtmitte entlang.
    Dicte blieb noch einen Augenblick sitzen und beobachtete die Frau, wie sie in ihren schwarzen Alfa Romeo einstieg und in die entgegengesetzte Richtung fuhr. Dann sprang sie schnell aus ihrem Wagen und nahm die Verfolgung des Mannes auf, der vielleicht, vielleicht auch nicht, Frederik Winklers verlorener Sohn war.
     
    Arne Bay, falls er es wirklich war, bog in die Bruunsgade. Am Bahnhof verschwand er kurz in einem Kiosk und kaufte eine Packung North State Zigaretten und ein Plastikfeuerzeug. Dicte erwarb eine Packung Kaugummis. Dann ging er weiter in die Ryesgade, wo er kurz anhielt, die Zigaretten aus der Tasche holte und sich mit dem Rücken in den Wind drehte, um sich eine anzuzünden. Dann folgte er der Einkaufsstraße, ohne einen Blick |110| auf Passanten oder Schaufenster zu werfen. Bei der Clemensbrücke nahm er die Treppe, die hinunter zum Fluss führte. Dicte zögerte. Alle Geschäfte hatten mittlerweile geschlossen. Es waren kaum noch Menschen auf der Straße

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