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Der menschliche Körper

Der menschliche Körper

Titel: Der menschliche Körper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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entfährt. Er geht sogar so weit, ihr eine Ohrfeige zu verpassen.
    Als der Beischlaf nach dem Eindringen in den repetitiven Rhythmus der Penetration übergeht, merkt er jedoch, dass etwas nicht stimmt. Es kommt ihm so vor, als sehe er Valeria kleiner werden, ihm entgleiten. Aber es könnte auch das Gegenteil sein, es könnte sein, dass er sich entfernt. Eine Handbreit vor seinen Augen wird die Frau zu einem dunklen Objekt, und auch die Geräusche im Zimmer werden gedämpft.
    Ein schwarzer Klumpen bildet sich in der Brust des Feldwebels und steigt ihm in die Kehle. So etwas ist ihm noch nie passiert, und doch scheint der Körper eine alte Erfahrung dessen zu haben, was da vorgeht. Mit einem Mal ist er sicher, dass er nicht zum Orgasmus kommen wird, dass es ihm in wenigen Sekunden sogar unerträglich sein wird weiterzumachen. Und genau in dem Augenblick, da er das denkt, reagiert sein Körper auf der Höhe der Lenden.
    Später besteht Valeria darauf, dass er das Geld in jedem Fall nimmt. Ihre Argumentation ist logisch: «Wenn du nicht gekommen bist, ich aber ja, ist die Leistung trotzdem erbracht.»
    René zögert, fühlt sich vernichtet, weniger durch Beschämung als durch die Angst, die ihn kurz zuvor im Schlafzimmer gepackt hat. Sie einigen sich auf den halben Preis: halber Tarif für halben Koitus, das scheint fair. Bevor sie sich von ihm verabschiedet, wirft die Frau ihm einen letzten Trost hin: «Das ist ganz normal, René. Bei dem, was dir passiert ist. Du wirst schon wieder der Mann von früher, du wirst sehen.»
    Aber genau das ist der Punkt, denkt René, während er die Treppen hinuntereilt, um sich wenigstens die Peinlichkeit zu ersparen, blöd dazustehen und auf den Lift zu warten: Will er denn wirklich der Mann von früher werden? Und wer verdammt noch mal war denn dieser Mann von früher?
    Er hört auf, morgens zu joggen, im Fitnessstudio Gewichte zu heben, er fährt nicht mehr mit dem Motorrad. Jetzt tut er nichts anderes, als Flavia Camporesi und ihren Sohn auszuspionieren. Ihm ist klar, wie gefährlich das ist, aber er kann dem brennenden, dramatischen Wunsch nicht widerstehen, diese amputierte Familie vor Augen zu haben. Die morgens hochgezogenen und abends herabgelassenen Rollläden, die Unausweichlichkeit, mit der sie Gabriele an der Hand nimmt, kaum dass sie aus dem Gartentor treten, ihre übertriebene Vorsicht, mit der sie den Wagen aus der Garage fährt, und der Blick, den sie gleich darauf in den Rückspiegel wirft, um ihr Aussehen zu kontrollieren, all das ist zugleich Beruhigungsmittel und Treibstoff für sein Unbehagen.
    Manchmal, immer öfter, wagt er sich aus der Deckung und klingelt. Flavia empfängt ihn, auch wenn sie sich oft wieder auf das Sofa setzt und ihn vergisst. Sie ist noch immer umgeben von der zähen Nachlässigkeit des ersten Tages. Seitdem sich eine feuchte Wärme über Belluno gelegt hat, trägt sie nichts weiter als ein kurzes Nachthemd aus Baumwolle mit einem widerspenstigen Träger, der gern bis zum Ellbogen hinunterrutscht, sodass der Busen halb unbedeckt ist. René fühlt sich von Flavias Nacktheit mit einer Macht angezogen, gegen die er nicht ankommt. Wenn er sie lange beobachtet, muss er aufstehen, eine manuelle Betätigung suchen oder sich das Gesicht mit kaltem Wasser waschen.
    Was geht ihm durch den Kopf? Wie ist er in dieses Haus gekommen? Das ist die Frau eines seiner Männer, verbotenes Material, rote Zone. Er war es gewohnt, seine erotischen Regungen zu beherrschen, sie einzusetzen wie seine Gliedmaßen, wie Schusswaffen, wie das lederbezogene Lenkrad seines Wagens deutschen Fabrikats, aber jetzt vermischen sie sich mit einem Scham- und Schuldgefühl, das sie vervielfacht und verwirrt. Er fühlt, dass er die Kontrolle über sich verliert. Durch das Scheitern bei Valeria S. sieht er seine Männlichkeit von Grund auf in Frage gestellt. Er hat Angst, dass die Durchquerung des Tals ihn in eines dieser ekligen Individuen verwandelt hat, die die Lust der anderen von ferne betrachten, ohne den Mut, sich daran zu beteiligen – in einen impotenten Spanner. Er verachtet Menschen dieses Typs, er hat sie nie verstanden. Immerhin sind schon drei Monate vergangen, seitdem er auf der Veranda mit Flavia sprach, und seither hat es keinerlei Entwicklung gegeben.
    Unerklärlicherweise und trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ist von seinen Besuchen etwas durchgesickert. Eines Tages in der Kantine setzt sich Zampieri ihm gegenüber. «Hör mal, Feldwebel. Es heißt, du hast was mit

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