Der menschliche Körper
oben im Turm, durchgerüttelt und verdreckt. Hätte er sich doch bloß nicht in den Kopf gesetzt, an dem Einsatz teilzunehmen. Es war sein Recht, in der FOB zu bleiben. Und wozu hat er das getan? Um zu zeigen, wie tüchtig er ist, wie groß seine Loyalität ist. Loyalität
wem gegenüber
?
Der Körper hat nun schon nichts mehr auszuscheiden, es handelt sich bloß noch um Krämpfe im Leeren, aber es ist schön, da zu hocken und sie vorübergehen zu lassen. Während seiner Krankheit hat der Stabsgefreite die Gewohnheit angenommen, mit seinem Verdauungsapparat Gespräche zu führen, so, als ob das jemand anderer wäre. Er macht ihm Vorwürfe, wenn der Schmerz zu heftig ist, und er lobt ihn, sagt brav, du benimmst dich gut, wenn es besser läuft. Jetzt versucht er, ihn zu beruhigen: «Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Wenn du heute keine Ruhe gibst, dann schießt Simoncelli im Ernst auf mich.»
Während er sich mit seinen Eingeweiden unterhält, spielt er mit den Kieseln im Flussbett Murmeln und scharrt mit den Fingern im Boden. Um es in dieser Hockstellung auszuhalten, ohne dass die Fersen darunter leiden, wiegt er sich vor und zurück wie ein Bonze. Am liebsten würde er pfeifen, aber das wäre vielleicht doch zu viel.
Wenn er den Kopf hebt, kann er den ersten Lichtstrahl des Tages einfangen, der ihm direkt ins Gesicht fällt. Er ist sehr hell und schmal, führt keine Wärme mit sich. Die Sonne ist so nah am Berg, dass er das Gefühl hat, zusehen zu können, wie sie aufsteigt. Gigantisch groß taucht der Feuerball auf, als würde er sich gleich nach unten ergießen und alles in Brand setzen. Der Himmel ist voller orange-rosafarbener und gelber Streifen, die im dunklen Bau verlaufen. Noch nie hat Torsu einen so klaren und majestätischen Sonnenaufgang gesehen, nicht einmal am Strand von Coaquaddus, wenn er im Sommer mit Freunden die Nacht durchgemacht hatte.
«Was für ein Scheißwunder!», ruft er aus.
Jetzt bräuchte er Tersicore 89 . Sie würde sicher passendere Worte dafür finden als er: Sie ist eine Dichterin. Aber Tersicore 89 will ihn nicht mehr. Sie ist wütend, weil er an ihr gezweifelt hat. Torsu überlässt sich seiner Trostlosigkeit.
Als sein Interesse an der aufgehenden Sonne verflogen ist, versucht er sich mit dem Wasser aus der Feldflasche zu reinigen, doch er findet keine Möglichkeit, die Genitalien ohne Einsatz des Schals zu trocknen.
Kein Feind weit und breit, wie es aussieht. Keiner hat auf ihn angelegt. Abgesehen von dem gestern gefundenen IED – das auch schon vorher da gewesen sein konnte –, abgesehen von dieser Unannehmlichkeit gibt es überhaupt keinen Hinweis auf eine Anwesenheit des Feindes. Zum ersten Mal denkt Torsu, dass sie sich einen Haufen überflüssiger Probleme machen und dass wahrscheinlich alles glattgehen wird, bis sie am Ziel sind.
«Wie blöd», kommentiert er leise, während er beschwingten Schritts, ja sogar mit den Händen in den Hosentaschen (aber doch darauf bedacht, in den eigenen Fußstapfen zurückzugehen), auf den Lince zuschlendert.
«Was hast du gesagt?», flüstert Di Salvo.
Torsu macht eine wegwerfende Geste. Er ist sauber, in Form, gut gelaunt. Bereit weiterzufahren.
Um halb sieben setzen sich die Fahrzeuge in Bewegung. Masiero hat versprochen, er werde sich nicht von dort wegbewegen, wo er ist, bis sie ihn eingeholt haben. Oberleutnant Egitto hat nur momentweise geschlafen, vor allem wegen der Kälte. In der Nacht ist die Temperatur drastisch gesunken, und im unruhigen Halbschlaf zitterte er, eingehüllt in den wasserdichten Poncho. Jede Viertelstunde stand Feldwebel René von der Trage auf, kroch in die Fahrerkabine und ließ den Motor an, um die Heizung in Gang zu setzen, doch er war gezwungen, den Motor schnell immer wieder abzustellen, um nicht zu viel Treibstoff zu verbrauchen. Schließlich hatte er dieses Hin und Her satt und blieb am Lenkrad sitzen, wach, ins Dunkel starrend. Egitto bewundert die außerordentliche Zähigkeit des Feldwebels. Es erscheint ihm ein bisschen lächerlich, sich von einem Jüngeren beschützt zu fühlen. Der freie Platz auf der Trage wurde sofort von Abib eingenommen, der noch schnarcht und schläft, in einer legeren Haltung mit gespreizten Beinen und dem Arm unter dem Kopf.
Egitto muss die taub gewordenen Gesichtsmuskeln mit den Händen massieren. Er verspürt alle Symptome einer Erkältung: verstopfte Nase, Gliederschmerzen, der Kopf schwer wie eine Bleikugel, vielleicht auch Fieber? Für alle Fälle
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