Der menschliche Makel
ernstlich krank ist.«
»Aber Sie haben ein Tagebuch, das Faunia gehört hat.«
»Nein, haben wir nicht.«
»Sie haben einen Revolver, der Faunia gehört hat.«
»Gehen Sie weg, Sir. Lassen Sie ihn in Ruhe, Sir, ich warne Sie!« Und sie stieß mich - mit der Hand, die mein Jackett gepackt hatte, stieß sie mich weg.
»Sie hat sich diesen Revolver gekauft«, sagte ich, »um sich vor Farley zu schützen.«
»Das arme Mädchen!«, erwiderte sie bissig.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte, außer ihnen um die Ecke zu folgen, bis sie vor der Veranda des Hotels standen. Faunias Vater weinte jetzt unverhohlen.
Als die Frau sich umdrehte und feststellte, dass ich noch immer da war, sagte sie: »Sie haben schon genug angerichtet. Gehen Sie jetzt, oder ich rufe die Polizei.« In dieser kleinen Person steckte eine Menge Wildheit. Ich konnte das verstehen: Das schien nötig zu sein, um ihn am Leben zu halten.
»Vernichten Sie das Tagebuch nicht«, sagte ich. »Es steht etwas darin -«
»Dreck! Es steht Dreck darin!«
»Syl, Sylvia -«
»Sie alle, sie, ihr Bruder, ihre Mutter, ihr Stiefvater - sie haben allesamt auf diesem Mann herumgetrampelt, sein Leben lang. Sie haben ihn ausgenommen. Sie haben ihn betrogen. Sie haben ihn gedemütigt. Seine Tochter war eine Kriminelle. Mit Sechzehn ist sie schwanger geworden und hat ein Kind gekriegt, das sie in einem Waisenhaus abgegeben hat. Ein
Kind, das ihr Vater großgezogen hätte. Sie war eine gemeine Hure. Revolver und Männer und Drogen und Dreck und Sex. Das Geld, das er ihr gegeben hat - was hat sie damit gemacht?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nichts von einem Waisenhaus. Ich weiß auch nichts von irgendwelchem Geld.«
»Drogen! Sie hat es für Drogen gestohlen!«
»Davon weiß ich nichts.«
»Die ganze Familie - Dreck! Haben Sie doch ein wenig Mitleid, bitte! «
Ich wandte mich an ihn. »Ich will, dass der Mann, der diese Tode auf dem Gewissen hat, vor Gericht zur Verantwortung gezogen wird. Coleman Silk hat ihr nie ein Leid zugefügt. Er hat sie nicht getötet. Ich möchte nur eine Minute mit Ihnen sprechen.«
»Lass ihn, Sylvia -«
» Nein! Ich lasse niemanden mehr! Du hast sie lange genug gelassen!«
Auf der Veranda des Hotels standen jetzt Leute, die uns beobachteten, und andere sahen aus den Fenstern in den oberen Stockwerken. Vielleicht waren es die letzten Herbsttouristen, die gekommen waren, um die mageren Reste des bunten Laubs zu bewundern. Vielleicht waren es ehemalige Absolventen des Athena College. Es waren immer ein paar da, die die Stadt besuchten - ältere oder noch nicht so alte Menschen, die nachsehen wollten, was verschwunden und was erhalten geblieben war, und die besten, nur die allerbesten Erinnerungen an alles hatten, was ihnen neunzehnhundertsoundsoviel auf diesen Straßen begegnet war. Vielleicht waren es Besucher, die gekommen waren, um sich die restaurierten Häuser aus der Kolonialzeit anzusehen, die auf beinahe eineinhalb Kilometern zu beiden Seiten der Ward Street standen und nach Ansicht der Historischen Vereinigung von Athena zwar nicht so großartig wie die in Salem, aber doch nicht unbedeutender als irgendwelche anderen im Bundesstaat westlich des Hauses der Sieben Giebel waren. Diese Leute waren nicht in den sorgfältig im historischen Stil eingerichteten Zimmern des College Arms zu Bett gegangen, um von Geschrei unter ihren Fenstern geweckt zu werden. An einem so schönen Tag wie diesem und an einem so pittoresken Ort wie der South Ward Street musste eine solche heftige Szene - ein weinender Mann im Rollstuhl, eine winzige, keifende Asiatin und ein Mann, der, seinem Äußeren nach zu urteilen, vielleicht Professor war und den beiden mit dem, was er sagte, Angst einzujagen schien - sowohl aufsehenerregender als auch empörender sein als an irgendeiner Großstadtkreuzung.
»Wenn Sie mich das Tagebuch lesen lassen würden -«
» Es gibt kein Tagebuch «, sagte sie, und mir blieb nichts anderes übrig, als zuzusehen, wie sie den Rollstuhl die Rampe neben der Treppe zur Veranda hinauf und durch den Haupteingang ins Hotel schob.
Ich kehrte zu Pauline's Place zurück, bestellte eine Tasse Kaffee und schrieb auf einem Block, den die Kellnerin aus einer Schublade unter der Kasse zutage förderte, folgenden Brief:
Ich bin der Mann, der Sie am Morgen nach Faunias Beerdigung in der Nähe des Restaurants in der Town Street in Athena angesprochen hat. Ich wohne an einer schmalen Landstraße außerhalb von Athena, ein paar
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