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Der menschliche Makel

Der menschliche Makel

Titel: Der menschliche Makel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Roth
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jeweils zu Beginn der Sitzungen die Anwesenheitsliste durch. Fünf Wochen lang kam auf zwei der Namen, die er verlas, keine bestätigende Antwort, und so fragte Coleman am Anfang der sechsten Sitzung: »Kennt jemand diese Leute? Hat sie schon mal jemand im College gesehen, oder sind es dunkle Gestalten, die das Seminarlicht scheuen?«
    Später an jenem Tag wurde er zu seiner Verwunderung ins Büro seines Nachfolgers, des neuen Dekans, gebeten und mit dem Vorwurf des Rassismus konfrontiert, den die beiden abwesenden Studenten - es handelte sich um Schwarze - gegen ihn erhoben. Obgleich abwesend, hatten sie rasch von der Bemerkung erfahren, mit der er ihr Fehlen kommentiert hatte. Coleman antwortete dem Dekan: »Das war eine Anspielung auf ihre möglicherweise nachtaktive Lebensweise. Das liegt doch wohl auf der Hand. Diese beiden Studenten haben an keiner einzigen Sitzung teilgenommen - das war das Einzige, was ich von ihnen wusste. Es sollte eine ironische Bemerkung sein. Ich hatte keine Ahnung, welche Hautfarbe sie haben, und mir war nicht bewusst, dass das als Anspielung auf ihre Hautfarbe verstanden werden könnte, sonst hätte ich dieses Wort gewiss nicht gebraucht, denn ich nehme große Rücksicht auf die Gefühle meiner Studenten. Bedenken Sie den Kontext: Hat sie schon mal jemand im College gesehen, oder sind es dunkle Gestalten, die das Seminarlicht scheuen? Der Vorwurf des Rassismus ist an den Haaren herbeigezogen. Lachhaft. Meine Kollegen wissen, dass er lachhaft ist, und meine Studenten wissen, dass er lachhaft ist. Das Thema, das einzige Thema, um das es hier gehen kann, ist das Nichterscheinen dieser beiden Studenten und ihre eklatante und unentschuldbare Weigerung, akademisch zu arbeiten. Das Widerwärtige an dieser Sache ist, dass die Anschuldigung nicht einfach falsch ist - sie ist so offenkundig falsch.« Nachdem er also genug zu seiner Verteidigung gesagt hatte, betrachtete Coleman die Angelegenheit als erledigt und fuhr nach Hause.
    Nun machen sich, wie ich höre, auch gewöhnliche Dekane durch ihre Tätigkeit im Niemandsland zwischen Dozenten und Verwaltung Feinde: Sie gewähren nicht immer die gewünschte Gehaltserhöhung oder einen der begehrten Parkplätze oder die großzügigeren Büroräume, von denen die Professoren glauben, sie stünden ihnen zu. Sie verweigern feste Anstellungen oder Beförderungen von Dozenten in den unwichtigeren Fachbereichen. Sie lehnen Anträge auf zusätzliche Planstellen für wissenschaftliche Mitarbeiter und Sekretärinnen fast immer ab, ebenso wie die Bitten um eine Reduzierung der Lehrtätigkeit, die Befreiung von frühmorgendlichen Veranstaltungen, Zuschüsse für Reisen zu wissenschaftlichen Konferenzen, und so weiter, und so weiter. Doch Coleman war kein gewöhnlicher Dekan gewesen, und sowohl mit seinen Entscheidungen, wer mit welcher Begründung entlassen und was eingerichtet oder abgeschafft werden sollte, als auch mit seiner Verwegenheit angesichts enormer Widerstände hatte er nicht bloß ein paar Nörgler und Unzufriedene gekränkt oder vor den Kopf gestoßen. Mit Rückendeckung durch Pierce Roberts, den gut aussehenden jungen Rektor mit dem zerzausten Haar, der steilen Karriere und dem aggressiven Auftreten, der ihn gleich nach seinem Amtsantritt zum Dekan ernannte und ihm sagte: »Hier muss sich einiges ändern, und jeder, dem das nicht gefällt, sollte sich überlegen, ob er sich was anderes suchen oder frühzeitig in Pension gehen will«, hatte Coleman gründlich aufgeräumt. Als man Roberts acht Jahre später, mitten in Colemans Amtszeit, den Posten eines Rektors an einer prestigeträchtigeren Universität anbot, geschah das hauptsächlich aufgrund der erfolgreichen Reformen, die in Athena in Rekordzeit durchgeführt worden waren - allerdings nicht durch den gefeierten Rektor, der im Grunde nur ein Spendensammler war, einer, der seinen Kopf nicht hingehalten hatte und nun geehrt und unversehrt weiterzog, sondern durch seinen entschlossenen Dekan.
    Schon im ersten Monat nach seiner Ernennung zum Dekan hatte Coleman jedes Mitglied der Fakultät zu einem Gespräch eingeladen, darunter etliche verdiente Professoren, Mitglieder jener alteingesessenen Familien, die das College gegründet und mit Mitteln ausgestattet hatten. Sie waren im Grunde nicht auf das Geld angewiesen, hatten jedoch nichts dagegen, ein Gehalt zu beziehen. Jeder von ihnen wurde gebeten, seinen Lebenslauf mitzubringen, und wer sich für zu bedeutend hielt, um dieser Bitte zu

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